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RAFFAEL
UND
MICHELANGELO.
und den bekannten Brief an den Grafen Castiglione. Auch von diefen beiden
letzteren lind die Urfchriften verloren gegangen. Mit Recht durfte noch
Rumohr behaupten, dafs feit Vafari für die Gefchichte RaffaeYs nichts Um-
faffendes und Erfchöpfendes geleiltet worden. Die Vita inedita di
Raf f aello, welche Angelo Comolli in Rom 1790 und mit Anmerkungen
vermehrt 1791 herausgegeben, ift, wie im Repertorium der Kunltwiffenfchaft V.
3 57. ff. bewiefen wurde, eine plumpe Fälfchtnmg aus der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts. Einzelne Ergänzungen und Berichtigungen gaben Bottari
und della Valle in ihren Ausgaben Vafarfs (Rom 1759 und Siena 1791).
L. Pungileonfs Elogio storico di Giovanni Santi Pittore und
Elogio storico di Raffaello da Urbino 1822 und 1829 verbreiteten
helleresLicht über Raffaefs Jugend, C. Fea's Notizie intorno Raffaello
Sanzio 1822 brachten zu dem Leben RaffaeYs in Rom neue Züge bei.
Eine wefentliche Bereicherung des Quellenmaterials boten erft G. Camp ori" s
Notizie inedite di Raffaello da Urbino, Modena 1863 [Separat-
abdruck aus den Atti e Memorie della deputazione di storia patria per le
provincie Modenesi e Pannensi; überfetzt in der Gazette des beaux arts XIV.
p. 347. Nicht die Kargheit der Nachrichten allein über RaffaeTs äufseres
Leben hat bewirkt, dafs alle neueren biographifchen Arbeiten überwiegend
auf die Schilderung feiner Werke llCh einfchränken. Seit jeher haben diefe
den gröfseren Reiz geübt. Dafs {ich z. B. eine ftetige Tradition von Raffael
erhalten hat, danken wir in erfter Linie den alten Kupferltechern und Kupfer-
stichfammlern, welche nie aufhörten, feine Schöpfungen zu reproduciren und
ihr Verftändnifs von Gefchlecht zu Gefchlecht zu vererben. Auch Rumohr
giebt im 3. Bande feiner italienifchen Forfchungen wefentlich nur eine zwar
oft anfechtbare, aber ltets feinfinnige Kritik der Raffaelifchen Gemälde. Und
ebenfo ruht die gröfsere Bedeutung von Paffavanfs Raffael von
Urbino [Deutfche Ausgabe in 3 Bänden 1839-1858, franzöfifche Aus-
gabe, nach welcher gewöhnlich citirt wird, 1860] mehr in dem wCatalogue
chronologiquea als in dem hittorifch-biographifchen T heile, obgleich auch der
eritere vielfach antiquirt iit, die chronologifche Anordnung der Bilder häufig
auf Irrthümern beruht, der Catalog der Handzeichnungen der Vollltandigkeit
und oft auch der Kritik ermangelt. Das Ideal eines Raffaelcataloges wurde
durch C. Ruland in feinem, mit ftaunenswerthem Fleifse und feinftem Sach-
verftändilifs gefchaffenen Werke verwirklicht: The works of Raphael
Santi da Urbino as reprefented in the Raphael collection
in the royal library at Windfor Castle. 1876. Die lange Zeit
ftockende Raffaelliteratur ift feit 1878 in eine bemerkenswerthe frifche
Strömung gerathen. Aufser zahlreichen kleineren Specialarbeiten, welche
theils mittelbar, theils unmittelbar die Kunde von Raffael förderten (von Kahl,
Thode, Hettner, R. Förfter, Pulszky u. a), find namentlich drei umfaffendere
Werke erfchienen. Das Buch von Lermolief f (Morelli) über wdie Werke