Volltext: Bis zum Tode Julius II. (Bd. 1)

XENDERUNG 
DES 
STILES. 
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Kraft und Tiefe des Tones. Nun ift Michelanäpolswstil dem Porträt- 
artigen am meiften entgegengefetzt und ein "ftärkerer Nachdruck auf das 
Farbenelement feinen Grundfatzen völlig fremd. Der breite Auftrag, der 
namentlich an den Gewändern feiner grofsen Einzelgeftalten beobachtet 
wird, mufs bei Michelangelo aus feinem plaftifchen Formenfinne abgeleitet 
werden und hat mit der Raffaelifchen Luft, auch einmal dem Colorit 
eine hervorragende Rolle unter den Kunftrnitteln zu fchenken, nichts 
gemein. Für die Richtigkeit der Behauptung, dafs die neue Wendung 
Raffaels nicht durch die flarkere Abhängigkeit von Michelangelo her- 
vorgerufen fei, dürfen wir überdies noch einen claffxfchen Zeugen an- 
führen. 
Eine Concordanz aller Stellen bei Vafari, welche {ich auf Raffael 
und fein Verhältnifs zu Michelangelo beziehen, überfteigt menfchliche 
Kräfte. Niemand vermag die zahllofen Widerfprüche, in welche {ich 
diefer Schriftfteller mit der heiterften Seelenruhe verwickelt, befrie- 
digend zu löfen; wer aber Geduld und Glück befitzt, wird finden, dafs 
in den meiften Fällen Yafari unter den vielen Irrthümern verfleckt auch 
die Wahrheit ausfagt und ein richtiges Urtheil fallt. So auch hier. Da- 
durch, dafs er die Zeiten nicht auseinanderhält, oder um jeden Preis 
einen urfachlichen Zufammenhang herftellen will, oder endlich, dafs er 
auf Werkftattgefchwätz zu viel gab, lieferte Vafari von den Beziehungen 
Raffaefs zu Michelangelo ein falfches Zerrbild. Einmal aber hat er fle 
dennoch richtig erfafst. Im Leben Raffaefs, beinahe am Schluffe der 
Erzählung  wo er gleichfam den Entwickelungsgang des Künftlers über- 
blickt, hebt er die Weisheit desfelben hervor, der fich nicht von Michel- 
angelds Banden umftricken liefs, vielmehr feiner Natur getreu blieb und 
welcher nicht durch einen Wettkampf auf ungewohntem fremden Boden, 
fondern durch höchfte Anfpannung der ihm eigenen Vorzüge die MeiPcer- 
fchaft fuchte und fand. Vafari rühmt die reiche Erfindungsgabe Raffaefs, 
die Kunft der Anordnung und Gruppirung, das feine Maafs in den Schil- 
derungen, fo dafs niemals über ein Zuviel oder Zuwenig geklagt werden 
kann. Auch die Anrnuth der Darftellung, um fo bewunderungswürdiger, 
weil fie mit einer allumfaffenden Phantafie verbunden ift, entlockt dem 
Biographen gröfstes Lob. Landfchaften mit dem Ausblick in weite 
Fernen, gefällige Trachten, holde Kinder, fchöne Frauen, kräftige Männer, 
{tolze Soldaten, feurige Roffe beleben Raffaefs Bilder. Er kann Alles 
malen, vonWRüPrungen bis zum Mondfchein, vom Frauenkopfputz bis zu 
Gewittern. Insbefondere erregt die porträtmäfsige Wahrheit feiner 
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