280 VII. DIE STANZA
DELIODORO.
von Bolfena; doch überrafcht auch die Heliodorfreske und auf dem
Attilabilde die Papitgruppe durch die vollendet gelungene Löfung felbft
fchwieriger- Farbenprobleme. Raffael nahm gegen früher gleich den
Grundton tiefer und wärmer. Die an fich fchon kräftige Natur der Farbe
bringt er durch einen breiten energifchen Auftrag zur Geltung; er er-
weitert die Farbenfcala, weifs durch Contrafie eben fo gut zu wirken,
wie durch leichte, mildernde Uebergänge; er kennt den Gebrauch der
Halbtöne und verfteht das Colorit feiner Bilder der Färbung der Dinge
in der wirklichen Welt näher zu bringen, durch Entlehnung gefalliger
Züge aus derfelben, z. B. im CoPcüm, den künftlerifchen Reiz fogar zu er-
höhen. Die einzelnen Geftalten werden nicht allein in Linien und Umriffen,
in Haltung und Bewegung, fondern ebenfo fehr in der Farbe den grofseren
Gruppen eingeordnet, die Gruppen wieder auch durch die Farben-
flimmung in gefchloffenen Maffen zufammengehalten.
IP: Raffael zu diefem Wechfel in den Zwecken und Mitteln der Kunfi
ganz felbftändig auf dem Wege natürlicher Entwickelung gekommen,
oder dankt er die Vermehrung feines malerifchen Vermögens der Ent-
lehnung von einer ihm bis dahin fremden Kunitweife? Die erftere An-
nahme trifft felbftverftändlich bei einem Künftler von fo unendlich reicher
und umfaffender Anlage wie Raffael war, zu; doch nur fo Weit, als Alles
bei einem folchen Genius auf Selbftthätigkeit und eigenem Schaffen be-
ruht. Dafs aber diefer Umfchwung gerade jetzt in den Iahren 151 x-I514
eintrat, mufs dennoch befonderen günftigen Einflüffen gutgefchrieben
werden. "Raffaefs wunderbare Fähigkeit zu wachfen und ohne Schädigung
des Kernes der eigenen Natur eine offene Empfänglichkeit für fremde
Eindrücke. zu bewahren und das Brauchbare davon in {ich aufzunehmen,
kam wieder glänzend zur Geltung.
Unter diefen epochemachenden Eindrücken das Studium der Decken-
bilder in der Sixtina zuerft und vorzugsweife zu nennen, liegt unmittel-
bar nahe. Sie wurden vollendet und der Bewunderung der Künftler
offen gegeben, während Raffael in der zweiten Stanze arbeitete; von
dem tief dringenden Einfluffe Michelangelds auf Raffael erzählen alte
Ueberlieferungen. Ihnen zum Trotze und ungeachtet des dagegen
fprechenden äufseren Scheines mufs man behaupten, dafs Michelangelo
auf die Aenderung desRaffaelifchen Stiles, welche an den Fresken im
Heliodorzimmer wahrgenommen wird, nicht eingewirkt hat, bis zum Jahre
1514 überhaupt die Nachahmung Michelangelds an keinem gröfseren
Werke Raffaefs nachgewiefen werden kann. Gerade in der Meffe von
Bolfena und den anderen Gemälden des zweiten Saales nähert fich Raffael
am meiften dem Bildnifsmäfsigen und verleiht dem Colorit eine befondere