BEFREIUNG
PETRI
AUS
DEM
KERKER.
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Hätten fich noch die Skizzen und Entwürfe zu diefer Freske er-
halten das in Florenz bewahrte Blatt ift nur eine fchwächliche Um-
arbeitung des Gemäldes von fpäterer Hand fo würden fie gewifs ein
anderes Ausfehen befitzen, als die Studien zu früheren Werken. Längft
ift der Silberftift aus der Reihe des Werkzeuges verfchwunden, und auch
die Feder wird nur zur erften vorbereitenden Anlage des Bildes ver-
wendet, genügt nicht mehr, mittels fchrafürter Striche die Hebung und
Rundung der Formen anzugeben. Wie der Silberftift durch den weichen
Röthel in den Entwürfen von Einzelgefcalten erfetzt wurde, fo trat bei
umfaffenderen Skizzen der breite, in Sepia getauchte Pinfel ergänzend
zur Feder hinzu. Es gliedertvflch jetzt in Raffaels Phantafie nicht allein
die ganze Compofition nach gröfseren Mafsen; auch an den einzelnen
Gruppen und Geftalten werden nicht fo fehr die Linien als die Flächen,
welche durch Licht und Schatten ihre Form gewinnen, betont. Diefe
Weife hat Raffael, als er die Befreiung Petri entwarf, um fo genauer
feftgehalten, als der Eindruck des Gemäldes wefentlich durch den Licht-
effect beftimmt wird. Der Engel ift von einem fo ftarken Lichtftrome
umgeben, dafs neben ihm die Geftalt Petri in Halbdunkel gehüllt er-
fcheintf Der Glanz ftrahlt von den Rüftungen der fchlafenden Wächter
wieder; eine ähnliche Spiegelung ruft auf der linken Seite der Fackel-
fchein hervor, mit welchem {ich das bleiche Mondlicht mifcht. Die
Virtuoiitätr der Holländer darf natürlich in diefem mit Frescofarben
verfüchten Nachtftücke nicht gefucht werden. Immerhin beweifen die
Lichteffecte eine grofse Gewandtheit und eine feine Beobachtungsgabe
des Künfllers und zeigen das malerifche Prinzip, welches in der Stanza
d'Eliodoro überhaupt herrfcht, am weiteften entwickelt.
Der Fortfchritt RaffaeTs in den Bildern der zweiten Stanze beruht
auf dem dramatifchen Charakter und dem malerifchen Tone der Schil-
derung. Unzweifelhaft hängt das eine mit dem anderen zufammen. Wie
die Gegenftände der Daritellting in der Stanza della Segnatura nichts
dazu beitragen, das Farbenelement im Künftler zur Entwickelung zu
bringen: fo drängte auf der anderen Seite die energifche Leidenfchaft,
die flch in der Handlung ausfpricht, im Saale Heliodons zu kräftiger
Anwendung coloriftifcher Mittel. Vorbereitet wurde der Umfchwung
bereits in dem letzten Gemälde der Stanza della Segnatura; zur vollen
Reife aber gelangte der ßmalerifche Stile erPc in den Fresken der
zweiten Stanze; Einen befönders frifchen Glanz zeigt er _in der Meffe