DIE
FLUCHT
ATTILA'S.
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In der Oxfordfammlung und im Louvre werden zwei Zeichnungen
bewahrt, welche als Entwürfe zu der Freske gelten. Die Hand Raffaefs
weift keines der Blätter, beide offenbaren flch vielmehr als Schülerarbeiten,
zur Uebung von jungen KünPtlern unternommen, doch mit dem Unter-
fchiede, dafs das Qxfordblatt in der That einen früheren Zuftand der
Compofition wiedergiebt, während die Louvrezeichnung (Br. 235) trotz
ihrer Berühmtheit, auch abgefehen von den nachträglich zugefügten
barocken Engeln, nichts iit als die freie Umarbeitung des ausgeführten
Gemäldes von einer fpäteren Hand und irrthümlich den Raffaelifchen Ent-
würfen beigezählt wird. Der bis in das feinfte Detail aus der Freske wieder-
holte landfchaftliche Hintergrund beweiit die fpätere Entftehung. Niemals
hat Raffael auf einem vorläufigen Entwurfe den Hintergrund mit folcher
peinlichen Genauigkeit ausgeführt. Ebenfo zeigt die mühfelig zufammen-
geftoppelte Gruppe auf der linken Seite, während die ganze rechte Seite
nach dem Gemälde copirt erfcheint, dafs der Zeichner zu der Raffaelifchen
Compofition noch willkürlich aus der eigenen Phantafie hinzuthat. Für die
Entwickelungsgefchichte des Bildes befltzt nur das Oxforder Blatt Bedeutung.
In dem Entwürfe, welcher derbOxforder Zeichnung zu Grunde liegt,
hat der Künüler bereits über die allgemeine Anordnung endgiltig ent-
fchieden. Die rechte Seite nimmt Attila mit den Hunnenfchaaren ein.
In Einzelheiten, in der Stellung der verfchiedenen Geftalten, im Coftüme
liefs Raffael fpäter noch mannigfache Veränderungen eintreten. So fchob
er in der Freske den HunnenfürPren mehr in die Mitte und gab der
Rüftung der Reiter die antike, den Reliefs der Trajansfäule abgelaufchte
.Form. Die allgemeinen Umriffe der Gruppe decken {ich aber fo ziemlich.
Auf der linken Seite des Entwurfes werden ebenfalls wie auf dem
Gemälde der Papft und fein Gefolge und darüber in den Lüften die
Apoitelfürfien fichtbar. Doch mufste flch die Papitgruppe, als es an die
Ausführung in Farben ging, eine gröfsere Veränderung gefallen laffen.
Der Papi": trägt in der Skizze noch nicht die Züge Leo's X., erinnert
vielmehr an julius II., bei deffen Lebzeiten jedenfalls der Gegenftand
der Schilderung bereits feftftand. Er wird gerade fo wie der Papft im
Heliodorbilde von Kämmerern auf dem Throne einhergetragen, an ihn
wendet {ich unmittelbar der Hunnenkönig, während in der Freske die
erfchreckten Blicke Attila's der himmlifchen Erfcheinung {ich zukehren.
Für diefe letztere Aenderung war gewifs die künitlerifche Rückflcht
maafsgebend; die Umwandlung der kirchlichen Prdzeffion in einen fürit-
liehen Reiterzug mag auf den Wunfch des neuen Papfies erfolgt fein.
Immerhin mochte aber auch der Wunfch, Contrafte zu fchaffen, mitwirken.
Denn unleugbar beftimmt den Eindruck; des Bildes vorzugsweife der
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