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VII.
DIE
STANZA
D'ELIOD ORO.
Raffael hat in dem Heliodorbilde ein Werk von unvergleichlicher
dramatifcher Kraft gefchaffen. Mit der unmittelbaren Klarheit, wie fie
nur den gröfsten Künftlern eigenthümlich ift, wählte er gerade den
Augenblick der Handlung, welcher eine ßgollkommene Ueberficht ihres
Verlaufes gewährt und zugleich den Höhepunkt der Verwickelung dar-
ftellt. Wir ahnen die vorangegangenen Scenen, wir find Zeugen der
Katafirophe und erhalten auch über den Ausgang unbedingte Gewifsheit.
Um fo mehr mufs es auffallen, dafs Raffael durch die Gruppe des Papftes
mit feinem Gefolge die dramatifche Wirkung und vor Allem die Einheit
der Handlung abgefchwächt hat. Iulius 11., fo möchte man angefichts
des Gemäldes behaupten, hat {ich felbft aufgemacht, um an dem Triumphe
der Kirche über ihre Feinde theilzunehmen. Yier Männer, von welchen
der vorderfte die Züge des grofsen Kupferftechers Marcanton befitzen
follgßuhaben den Papft auf dem bei allen päpftlichen Ceremonien üblichen
Tragftuhle auf die Schultern gehoben und laffen ihn fo gelaffen und
ruhig das Schaufpiel betrachten. w) Die Sünde gegen die Zeiteinheit
lieht jeder Schulknabe. Man will deshalb auch den Künftler entfchul-
digen, der nur auf das Geheifs des Befiellers und nur nachträglich die
Papftgruppe zugefügt hatte. Wie dann aber, wenn Raffael abfichtlich
auf die Zeiteinheit verzichtete und die dramatifche Wirkung feines
Werkes von folchen akademifchen Vorfchriften und mechanifchen Schul-
regeln unabhängig glaubte? Das Cofiüm, die ganze äufsere Erfcheinung
der Papfigruppe ift für uns ein Anachronismus; in_ die Stimmung des
Bildes pafst fie aber vortrefflich. Hätte Raffael nicht diefe Gruppe
gefchaffen, fo hätte er eine andere erfinden müffen, in welcher {ich in
ähnlicher Art die leidenfchaftlichen Empfindungen austönen und der
gewaltfamen inneren und äufseren Bewegung der anderen Perfonen ein
Gegengewicht gehalten wird. Ift der Papi": in der Meffe von Bolfena nicht
erPc nachträglich eingefchoben worden, und dafs diefes nicht gefchah,
darf "als ziemlich ficher angenommen werden, fo fehlt auch jeder erheb-
liche Grund, eine folche fpätere Anfügung in der Vertreibung Heliodorls
anzunehmen. Die Wahrfcheinlichkeit, dafs es fchon in den urfprünglichen
Compofltionen auf eine dem Papftthum dargebrachte Huldigung abgefehen
war, fteigt noch, wenn man das dritte Wandbild, dieVertreibunig Attila's
aus den Gefilden Italiens in feiner allmählichen Entftehung Betrachtet.
m) Der Mann neben ihm in der
Ecke iil der päpilliche Secretär: Ioh.
Petrus de Folcariis aus Cremona. Sein
Name {lebt auf dem Zettel gefchrieben,
welchen er in der Hand hält.
H) Federzeichnung imLouvre. Br. 2 38.
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