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VII
DIE
STANZA
UELIODORO.
aber das feine Abwägen der verfchiedenen Maffen, das Zufammenfchliefsen
der Compofltion von den beiden Seiten gegen die formale Mitte in dem
Wandgemälde. ausgebildet, welches die Vertreibung Heliodons
aus dem Tempel in Jerufalem fchildert.
Rumohr und Paffavant heben eine Handzeichnung hervor, die fich
im Befitze Savignys in Berlin befand und als ein früher Entwurf zum
Heliodorbilde angefehen wird. Nach der technifchen Befchreibung möchte
man fchliefsen, dafs hier keine Originalfkizze des Meifters, fondern das
XVerk eines Schülers oder doch mindeftens ein ftark überarbeitetes Blatt
vorliege. Immerhin dürfte diefe mit Sepia nachmals getufchte Feder-
zeichnung, wie die Nachzeichnungen der lVleffe von Bolfena, einen älteren
Zuftand der Raffaelifchen Compofition in den wefentlichften Zügen ver-
finnlichen. In ihr fehlt noch die Gruppe des Papites mit feinem Gefolge;
auch die Architektur des Hintergrundes unterfcheidet fich noch auffallend
von dem prachtvollen Tempelbaue im ausgeführten Gemälde; dagegen
flnd die grofsen Maffen rechts und links, Heliodor, vor dem himmlifchen
Reiter angftvoll niederftürzend, mit feinen fliehenden Genoffen und auf
der anderen Seite die Gruppe der Weiber bereits hier deutlich betont
und damit das Charakteriftifche der ganzen Cornpofltion fefigehalten.
Ueber die Weiteren Entwickelungsftufen der letzteren find wir nicht
unterrichtet; doch fagen uns einzelne glücklicher Weife erhaltene Studien
(die ausgeftreckte Hand des einen himmlifchen Racheengels, die fchreiende
Frau und die Mutter mit ihren Kindern aus der linken Gruppe in Oxford)
dafs der Meiiter mit höchfter Anfpannung feiner Kräfte arbeitete und
jede Linie mit weifem Vorbedacht zeichnete.
Die Handlung geht im Vorraum des jerufalemifchen Tempels vor
fich. Als einen fäulengefchmückten, durch Kuppellicht erleuchteten
Hallenbau hatte flch Raffael das jüdifche Heiligthum gedacht. Zwei
fchmale halbdunkle Nebenhallen fchliefsen flch der mittleren Haupthalle
an, in welcher, an dem Altar knieend, der greife Hohepriefter Onias
betet. Der ganze weite Raum vor ihm ift leer, mufste leer bleiben,
um dem Auge das blitzesfchnelle Einherbraufen, das plötzliche Anfiürmen
der himmlifchen Racheboten anfchaulich zu machen. Beinahe wäre es
den Tempelräubern gelungen, ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Schon
haben f1e die äufserfte Ecke des Tempels erreicht; da ereilt f1e das
Schickfal. Ein jugendlicher Reiter in goldener Rüfiung, den Mantel wie
ein Segel aufgebläht, fprengt gegen ihren Führer, gegeniHeliodor an.
ilhm zur Seite eilen im Fluge zwei Engel herbei, Ruthen in den Händen
fchwingend, die Erde mit den Füfsen kaum berührend. Von der Wucht
des plötzlichen Angriffes getroffen, ihm gegenüber völlig wehrlos