DIE
MESSE
VON
BOLSENA. 269
Von der Meffe von Bolfena. von der Vertreibung Heliodors und
der Flucht Attilas haben flch Zeichnungen erhalten, welche uns frühere
Zuftände der Compofxtion vor die Augen bringen und, wie die Gemälde
allmählich entftanden find, wenigfiens theilweife urkundlich belegen. Denn
wir befltzen nicht alle Entwürfe Raffaels zu den Fresken in der zweiten
Kammer, z. B. nicht den von Vafari hochgerühmten Carton zum Heliodor-
bilde 3), fondern nur vereinzelte Blätter, welche der Zufall vor dem Ver-
derben und der Vernichtung gerettet hat. Diefe Rettung danken wir
zumeift dem Umfiande, dafs Raffaefs Entwürfe fleifsig als Zeichenmufier
benützt und vonNScliülerhänden vervielfältigt wurden. So kennen wir
von dem Entwurfe zur Mef f e von Bolfena drei Nachzeichnungen,
fämmtlich in Oxford bewahrt (Br. 37, 38), durchaus identifch in der
Ausführung, welche uns das verloren gegangene Original ziemlich
erfetzen. Wir erfehen aus, denfelben, dafs der Künftler nicht geringe
Veränderungen mit der Compofition vornehmen mufste, ehe fie endgiltig
feftgeftellt war. In dem älteren Entwurfe, welchen uns die drei Oxforder
Copien verfinnlichen, geht die Scene, foweit man aus der mit geringem
Veritande gezeichneten Architektur fchliefsen kann, in der erhöhten
Apfls einer Kirche vor (ich; auf dem Gemälde iPr ein halbrunder Raum
durch eine Schranke von den übrigen mit Säulen prächtig gefchmückten
Theilen des Heiligthums abgefondert. Die Treppen, die hier und dort
zum Altare führen, zeigen doch nicht die gleiche Anlage. Zuerft traten
den1 Befchauer die Stufen felbft, in der fpäteren Ausführung dagegen
die Treppenwangen entgegen. Soweit erfcheint der Wechfel in der
Anordnung vollkommen gerechtfertigt. Die veränderte Treppenanlage
vergröfserte den Raum am Fufse der Treppe; der Abfchlufs durch eine
niedrige Schranke geftattete einen weiteren Ausblick in die Säulenhalle.
und gewährte Gelegenheit, noch einige Figuren anzubringen, welche
neugierig über die Schranken hinweg den Vorgang betrachten.
Minder glücklich erfcheint für den erPcen Anblick eine andere Aende-
rung. Urfprünglich nahm den Platz am Altare der meffelefende Priefter
mit den Chorknaben und Kerzenträgern ausfchliefslich in Anfpruch; der
Papfl kniete als einfacher Zufchauer auf einer tieferen Stufe links. Das
"Gemälde ftellt diefen mit dem Priefier auf gleiche Linie, läfst ihn auf
der anderen Seite des Altars (rechts) dem Priefter gegenüber vor feinem
Betftuhle knien und erhöht dadurch nicht wenig feine Bedeutung. Man
kann darin ein höflfches Cornpliment vermuthen, dem Künfiler vielleicht
15:) Fragmente des Cartons bewahren
die Sammlungen im Louvre (Köpfe der
Engel neben dem Reiter, Br.
und Oxford (Pferdekopf).
261, 262)