Volltext: Bis zum Tode Julius II. (Bd. 1)

DER 
BILDERKREIS 
IN 
DER 
ZWEITEN 
STANZE. 
263 
{ich zwar eine lange Reihe von Zeichnungen zu den Fresken in der 
Stanza diEliodoro erhalten; nur Wenige zeigen aber die unverfälfchte 
Handfchrift des Künfilers und können als vorbereitende Stufen zu den 
ausgeführten Bildern gelten. Weitaus die Mehrzahl erfcheint als Schüler- 
arbeit, zur Uebung gezeichnet und zuweilen fogar erft lange nach Voll- 
endung der Fresken begonnen. Zwei Umftände treten aufserdem hinzu, 
die Entwickelungsgefchichte diefes Bilderkreifes fchwierig zu geftalten. 
Zum erften Male nahm hier Raffael die Mitwirkung eines Schülers, viel- 
leicht des damals zwanzigjährigen Giulio Romano m) in gröfserem Maafse 
in Anfpruch, fo dafs nicht allein die technifche Ausführung, fondern theil- 
weife auch die Erfindung diefem zufällt. Dann aber flarb, Während 
Raffael in der Stanza d'Eliod0ro arbeitete, Julius II. Leo X. beftieg den 
päpftlichen Thron. Neue perfönliche YVünfche tauchten auf, verlangten 
Rücklicht und zwangen wahrfcheinlich Raffael noch nachträglich zu Aende- 
rungen in der NVahl der Gegenftände, in der Anordnung der Bilder. 
Wenn die" Theilnahme des Schülers in die künftlerifchen Formen ein 
fremdes Element brachte, das nicht immer fcharf ausgefchieden werden 
kann, fo hat der plötzliche Wechfel in der Perfon des Beftellers den in- 
haltlichen Zufammenhang der Bilder gelockert oder doch die Einheit 
aus theilweife neuen Gliedern aufgebaut.  
Der Bilderfchmuck vertheilt fich hier wie in der erften Stanze auf 
Decke und Wände. An der Decke hat Raffael in der Form aufge- 
fpannter Teppiche vier himmlifche Erfcheinungen, von welchen die Bücher 
des alten Teftamentes berichten, gefchildert: Iehova kündigt Noah die 
Rettung aus dem über die fündige Menfchheit verhängten Strafgerichte 
an; ein Engel des Herrn fallt Abraham in den Arrh und wehrt ihm, das 
Opfer Ifaaks zu vollziehen; jacob fleht im Traum die Himmelsleiter und 
Jehova fpricht aus dem brennenden Dornbufch zu Mofes. Aehnlichen 
Erfcheinungen himmlifcher Boten und Zeichen begegnen wir auch auf 
den Wandgemälden. Als der fyrifche Feldherr Heliodor die Tempel- 
fchätze zu Jerufalem zu plündern fich anfchickte, wurde er, wie das zweite 
Buch der Maccabäer (c. 2. v. 2 3) erzählt, durch einen himmlifchen Reiter 
in die Flucht getrieben. Vor dem heiligen Petrus, welcher dem Papft 
Leo dem Grofsen zur Seite fchwebte, wich nach der wlegenda aurear 
der I-Iunnenkönig aus Italien zurück. Dem zweifelnden Priefter offen- 
barte flch nach einer rafch berühmt gewordenen Sage in Bolfena während 
des Mefsopfers in der Hoftie der Leib Clurifti. Den heiligen Petrus end- 
lich befreite ein Engel aus dem Kerker, in welchen ihn (Apoftelgefch. 
Vafari 
läfst 
ihn 
erfi 
der 
dritten 
Stanze , 
alfo 
1514: 
mitwirken.
	        
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