MADONNA
DEL
PASSEGGIO,
MADONNA
ALBA.
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die Madonna dem Chrifttlsknaben gewährt, als ein fein erfonnener, dabei
ganz natürlicher Zug. So viel Bewunderungswtirdiges aber auch fonft
die Compofition zeigt: der fchliefsliche Eindruck ifl dennoch nicht har-
monifcher Natur. Und dabei fleht man noch von jofephus ab, der
feitwärts. durch die Büfche fchleicht, ohne irgend einen anfchaulichen
Aritheil an der Handlung zu nehmen. Raffael hat über diefen Heiligen
nicht fo arg gefpottet wie Giotto, offenbar aber gleich allen andern
Küniilern die Schilderung desfelben wenig dankbar gefunden. Die
unvollkommene Befriedigung aber, welche diefes und andere verwandte
Bilder gewähren, hängt wohl damit zufammen, dafs fie einer Uebergangs-
{limmung entfprungen find und aus diefem Grunde noch keine ge-
fclioffenen, einheitlichen Formen aufweifen.
Das Hineinragen in eine andere Welt, ohne in ihr vollkommen auf;
zugehen, mindert die Wirkung auch der Madonna aus dem Haufe
Albaif), fo benannt, weil fle eine Zeit lang im vorigen Jahrhundert
{ich im Befitze der Herzoge von Alba befand. Urfprünglich foll das
Bild auf dem Altare einer Kloflerkirche (Nocera de' Pagani) im Neapolita-
nifchen geftanden haben, wogegen aber die Rundform zu fprechen fcheint.
Gegenwärtig (feit 1836) gehört es zu den wenig zugänglichen Schätzen
der Petersburger Eremitage. Wie lebendig noch der florentiner Geift in
Raffael herrfchte, fagen namentlich die Röthelzeichntingen aus, welche
das Liller Mufeum (Br. 89, 90) von der Madonna aus dem Haufe Alba
bewahrt. Auf der einen Seite des koftbaren Blattes ift die ganze Gruppe
und neben derfelben noch zwei Skizzen zur Madonna della Sedia darge-
flellt, woraus erhellt, dafs die beiden Madonnen in ihrem Urfprunge
zeitlich zufammenfallen. Die Rückfeite des Blattes zeigt aufser einem
halbverwafchenen Entwurfe zu einer Madonna, welche vom Chriftkinde
umhalft wird, das Naturftudiumfür die Figur der Madonna. Zum Modell
diente Raffael ein junger Burfche, blos mit einem Hemde bekleidet,
welches hoch über die Kniee hinaufgezogen ift. Da die Beine im Bilde
doch verhüllt werden, läfst ihnen Raffael hier unbefangen die männliche
Form; bei der Zeichnung des Kopfes dagegen legt er fchon einen
madonnenhaften Zug in das Antlitz, den er offenbar dem Modelle nicht
ablaufchen konnte, fondern, in feinem fchöpferifchen Denken vorarbeitend,
felbfländig erfann, auch im ausgeführten Bilde beibehielt. Diefes führt
uns die Madonna in jugendlich anmuthiger Erfcheinung vor, um den Kopf
ein leichtes Tuch turbanartig gewunden, den Körper in ein fchwer und
wuchtig fallendes Gewand gehüllt. Sie hat fich auf blumenreichem Rafen
Treff liche
Photographie
V O 11
Braun.