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VII.
DIE
STANZA
ITELIODORO.
Diademft") Noch {tärker als hier tritt in der Madonna del divino
amoremii") im Mufeum zu Neapel das Chriftkind als Mittelpunkt auf.
Es fitzt rittlings auf dem Knie der Madonna, die mit gefalteten Händen
zufieht, wie ihr Sproffe feine erfle felbftändige Handlung als Gottesfohn
verfucht und den anbetenden Johannes fegnet. Der Vorgang würde
noch ernfler und feierlicher Wirken, wenn nicht Raffael einen Zug ein-
gePrreut "hätte, der uns in die unbefangene Wirklichkeit verfetzt. Dem
noch linkifchen Kinde führt die heilige Anna, ganz grofsmütterlich in
Wefen und Ausdruck, den Arm. So werden wiriwieder in das harmlos
glückliche Familienleben zurückgeführt, von welchem uns der an das
kirchliche Myiterium ftreifende Hauptinhalt des Bildes entfernt hatte.
Raffael mochte felbPc die Empfindung haben, dafs er einen neuen Boden
betreten. Selbft das Colorit fucht er dem würdevollen ernPcen Gegen-
ftande genauer anzupaffen. Er giebt den Halbtönen gröfsere Kraft und
Tiefe und läfst Farbengegenfätze ohne Scheu nebeneinander beftehen.
Der monumentale Stil fcheint durch, wenn auch die Frescomalerei hier
noch nicht ihr unbedingtes Uebergewicht geltend macht.
Im Angeficht der Madonna del divino arnore möchte man behaupten,
dafs die zukünftige Richtung Raffaefs hier ihre Schatten vorausgeworfen
habe; hält man flch dagegen die Madonna del Paffcggio oder die Madonna
aus dem Haufe Alba vor Augen, fo entdeckt man die Unfterblichkeit
der florentiner Anfchauungen in Raffaefs Phantafxe. Von der Madonna
del Paffeggio ift, fo fcheint es, die Urfchrift verloren gegangen. Nur
die Compofltion können wir mit voller Sicherheit auf Raffael zurückführen,
während die Ausführung der zahlreich erhaltenen Exemplare in Farben,
felbft des berühmteflen unter ihnen, welches Lord Egerton in London
bewahrt, im beften Falle feiner Werkftatt, meiftens aber viel fpäteren
Zeiten angehört. Die Madonna, eine der ftattlichflen Geftalten, die
Raffael gefchaffen, ergeht fich mit dem Chriftusknaben im Grünen. Ihr
begegnet Johannes, der wie gewöhnlich auf ein dünnes Rohrkreuz {ich
ftützt und ein Lammfell lofe über die linke Schulter herabhängen hat.
Er bringt zärtlich fein Geflcht dicht an das Geficht feines Altersgenoffen,
der aber nicht mehr feinesgleichen ift, und beugt dernuthsvoll das Knie,
um Chrifltls zu huldigen. Dankbar dafür legt ihm die Madonna die
Rechte auf das Haupt, während fle mit der Linken den Arm Chrifti
umfafst hält und den Knaben leicht an ihren Leib prefst. Gegenüber
dem zärtlichen Anflürmen des Johannes erfcheint diefer fePte Halt, welchen
Stich
VOII
Desnoyers.
Stich von Lorichon. Carton
fchlecht erhalten, gleichfalls in Neapel.