MADONNA
LORETO.
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gegen die früheren Schilderungen einen leifen Unterfchied im Tone wahr.
Raffael nähert fich dem uralten Devotionsbilde, welches dem Chriitkinde
eine erhöhte NVürde verleiht und dasfelbe in den Mittelpunkt der Dar-
ftellung rückt. Nicht als 0b die künftlerifchen Formen gleichfalls wieder
auf die alte naive Einfalt zurückgeführt würden. Sie bewahren die
vollendete lebendige Anmuth, fie werden noch in ihrer Kraft und Fülle
gefteigert, aber fie ftehen nun im freien Dienfte der religiöfen Empfindung
und huldigen zwanglos kirchlichen Ideen. Gefchähe diefes ausnahmsweife
einmal und das andere Wal, fo könnte der Zufall, welcher die Phantafle
einen Augenblick lang auf diefen Pfad gelockt, zur Erklärung angerufen
werden. Diefer andächtige Hauch kehrt aber in einer ganzen Reihe
von Madonnenbildern wieder; nicht in den Handzeichnungen, in welchen
vielmehr noch lange die ungetrübte Horentinifche Lebensluft nachhallt, wohl
aber in den ausgeführten Gemälden. Dafs die äufsere Beftimmung der-
felben in einzelnen Fällen dazu beitrug, den religiöfen Ton feftzuhalten,
wer möchte es ableugnen? Und die Mehrzahl der frührömifchen Nladonnen
Raffaefs wurde für Kirchen! geftiftet. Als ebenfo ficher darf aber auch
der Einflufs der kirchlichen Macht und des kirchlichen Pompes gelten, die
ihm in Rom in den würdevollPren Formen entgegentraten und wenigftens
in der erften Zeit feine Phantafie ftark färbten. Unwillkürlich gab er
den von ihm hier gefchilderten Scenen den Zug des religiöfen Idealismus,
welcher in Rom gewiffermafsen zu Haufe war, jedenfalls den frifchen
Ankömmling gewaltig ergriff.
Aus derfelben Stimmung, welcher die Madonna di Loreto entfprtingen
war, heraus fchuf Raffael noch die Madonna mit dem Diadem und die
Madonna del divino amore; einen verwandten Tonlfchlagen die Madonna
del paffeggio und felbft die Madonna aus dem Haufe Alba an, welche
fonft am meiiten den Horentiner Bildern fich nähert und mit der Madonna
della fedia zufammen das Nachleben florentiner Anregungen in Raffaefs
römifcher Periode am ftärkften bekundet.
Auf weiche Tücher gebettet fchlaft fanft und ruhig das Chriltlaind.
Der eine Arm hält noch die Lage feft, welche er bei dem Einfchlummern
eingenommen und ift um das Haupt gefchlungen, den anderen hat der
Schlaf gelöft, fo dafs er leicht den Leib entlang herabgleitet. Leife
hebt die knieende Madonna den Schleier von dem Kinde und zeigt es
in feiner erquicklichen Ruhe, das Bild der Unfchuld und des glücklich
harmlofen Friedens, dem Johannesknaben, der, von der Linken der
Madonna umfafst und herangezogen, ihr zur Seite kniet und die Hande
zur Andacht gefaltet hat. Diefe Scene, in eine von antiken Ruinen
belebte Landfchaft verlegt, fchildert die Parifer Madonna mit dem
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