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RAFFAEL
IN
ROM
UNTER
JULIUS
empfangen. Die Mehrzahl der Gruppen erfcheint vielmehr felbftandig
geftellt und beinahe abgefchloffen. Um fo nothwendigei" war es, die
beiden Philofophen für den Befchauer als die Hauptgeftalten zu charakte-
riflren. Und diefes gefchah am wirkfamften fo, dafs der Vordergrund
vor ihnen frei blieb, der Blick des Betrachtenden ohne jeden Aufenthalt
fle trifft. Raffaels Vorausficht hat fich glänzend bewährt. Wer vor die
Freske tritt, deffen Auge wird ftets zunächft von den Gefizalten Platon's
und Ariftoteles gefangen genommen, die allein in der Mitte der Halle
ftehen und, obgleich dem Auge am entfernteften, dennoch der Phantaiie
am nächften erfcheinen; und wenn auch dann die Aufmerkfamkeit den
anderen Gruppen {ich zuwendet, bei den Geftalten des Vordergrundes
verweilt und erft allmählich wieder auffteigt, am Schluffe kehrt fle doch
zu Platon und Ariftoteles zurück, welche die Scene beherrfchen und als
die Gröfsten und Mächtigften der ganzen Gemeinde flch offenbaren.
In ihrer Nähe hört das Fragen und Schreiben auf, legt {ich das
Drängen und Wogen, der Aufruhr der Geifter. In ehrfurchtsvolles
Schweigen gehüllt ordnen flch ihre Schüler Linwillkürlich in zwei Reihen;
alle, die begeifterten Jünglinge, die welterfahrenen Greife, befeelt gleich-
mäfsig ein Gefühl der Bewunderung und Verehrung ihrer Meifter.
Ariitoteles, jünger, fchlanker, lebhafter im Wefen, faft leidenfchaftlich im
Ausdruck, ftreckt gebietend die Rechte aus, Platon dagegen, ein würdiger
Greis mit langem Barte, das Haar wie von Begeifterung leife bewegt,
das Gewand in ruhige Falten gelegt, weift mit erhobener Rechten zum
Himmel empor. Wie erfüllt {ich da das Bild, welches die humaniftifche
Philofophie von den beiden Helden entworfen, von Ariftoteles, der die
Natur und das Wefen der Dinge, ihr Maafs und ihre Zahl ergründet, und
von Platon, der die Gedanken von den natürlichen Dingen zu ihrem
Schöpfer, zu Gott, emporführt. Wenn uns noch ein Zweifel über die
Herkunft und Grundlage des Bildes geblieben wäre; im Angeficht diefer
beiden Geflalten erkennen wir es unwiderleglich: In der Schule von
Athen hat Raffael die Ideen des humaniftifchen Zeitalters von den auf-
fteigenden Stufen der Erkenntnifs, von der Harmonie des Wiffens mit
dem religiöfen Glauben, von der Einheit der platonifchen Philofophie
mit der Theologie verkörpert. Und jetzt verftehen wir auch Vafarfs
Befchreibung der Freske- Ihn hatten fpätere Kupferftiche, nach ver-
einzelten Gruppen angefertigt und mit irrigen Infchriften verfehen, auf
eine falfche Fährte geleitet, aber doch nicht völlig gehindert, dafs in
feiner Erinnerung der richtige Inhalt des Bildes dämmere. xDie Theo-
logen bringen die Philofophie und Afirologie mit der Theologie in Ein-
klanga, fagt er das eine Mal, und an einer anderen Stelle: xDie Philo-