Volltext: Bis zum Tode Julius II. (Bd. 1)

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RAFFAEL IN ROM UNTER 
JULIUS 
{tändigen Erkennen und deckt {ich auf diefe Art vollkommen mit der 
Gruppe der Geometer und Aftrologen auf der Gegenfeite. 
iAls formelle "Spitze der Pythagorasgruppe ftellt {ich dem Auge die 
{chöne Jünglingsgeßalt dar, welche Raffael zwifchen dem Knaben, der die 
Tafel hält, und dem demonftrirenden Philofophen gezeichnet hat. Das an- 
muthige Geiicht i{i: von langem, bis auf die Schultern herabfallenden Locken- 
haare eingerahmt, der Leib in einen kunftreich drapirten fchweren weifsen 
Mantel gehüllt. Langfam gemeffen, mit der Linken den Mantel über der Bruft 
zufammen haltend, fchreitet der Jüngling, von Vafari wohl irrthümlich für 
den Herzog Francesco Maria von Urbino ausgegeben, entlang, das Geficht 
dem Befchauer zugewendet. Er nimmt keinen Antheil an der Thätigkeit der 
Gruppe. Das Recht, hier aufzutreten, giebt ihm feine Schönheit. Und wer 
wollte ihm das Recht weigern und feiner Erfcheinung zürnen, wenn diefelbe 
fo viele gefällige Reize bietet! Dafs Raffael {ich ausfchliefslich von malerifchen 
Intereffen leiten liefs, als er diefe Figur fchuf, die vortrefflich den fonß leeren 
Raum ausfüllt und belebt, unterliegt keinem Zweifel. Ob in ähnlicher Art die 
Rückficht auf die künftlerifche Form dem jugendlichen Frauenkopfe hinter 
dem Orientalen und dem Knaben über ihr ausfchliefslich das Recht auf das 
Dafein verliehen, oder ob diefe auch inhaltliche Beziehungen in {ich bergen, 
bleibt unentfchieden. Jedenfalls verbinden {ie ungezwungen die Pythagoras- 
gruppe mit dem Geftaltenkreife, welcher den Vordergrund links abfchliefst. 
Auf den hohen Sockel einer Säule hat ein laubbekränzter bartlofer 
Mann von liebenswürdig heiterem Ausfehen ein Buch geftellt und lieft 
inidemfelben.  Jüngling, hinter ihm Pcehend, legt ihm die Hand auf 
die Schulter und blickt mit in die aufgefchlagene Schrift, von der Seite 
naht {ich ihm ein bärtiger Greis mit einem Knäblein auf dem Arme. 
Gar mannigfache Deutungen, die eine fo wenig {icher wie die andere, hat 
diefe Gruppe erfahren, dafs man {ich fcheut, die Zahl derfelben noch zu 
vermehren. Kein Zweifel, dafs hier die Thätigkeit des Grammatik ers 
ver{innlicht wird. Das bekundet nicht nur die Befchäftigung der Glieder 
der Gruppe, fondern deutet auch der Kranz auf dem Haupte des Lehrers 
an. Denn mit einem Spiele in den Adonisgärten, mit einem Gange durch 
belaubte Haine wurde von den Humaniften dasgStudium der Grammatik 
verglichen. Damit mochte vielleicht die Erinnerung an die Stellen in 
den Schriften Marfilio Ficinds {ich verknüpfen, in welchen Plgtirfs Schön- 
heit und Liebenswürdigkeit gefchildert, und wie ihm Frauen folgten und 
Eltern die Kinder zur Erziehung brachten, erzählt wird Marfilio 
Fiicinds Ideen bildeten die Grundlage für Raffaels Schule von Athen. 
Marf. 
Ficini 
OPP- 
1541.
	        
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