248
RAFFAEL IN ROM UNTER
JULIUS
{tändigen Erkennen und deckt {ich auf diefe Art vollkommen mit der
Gruppe der Geometer und Aftrologen auf der Gegenfeite.
iAls formelle "Spitze der Pythagorasgruppe ftellt {ich dem Auge die
{chöne Jünglingsgeßalt dar, welche Raffael zwifchen dem Knaben, der die
Tafel hält, und dem demonftrirenden Philofophen gezeichnet hat. Das an-
muthige Geiicht i{i: von langem, bis auf die Schultern herabfallenden Locken-
haare eingerahmt, der Leib in einen kunftreich drapirten fchweren weifsen
Mantel gehüllt. Langfam gemeffen, mit der Linken den Mantel über der Bruft
zufammen haltend, fchreitet der Jüngling, von Vafari wohl irrthümlich für
den Herzog Francesco Maria von Urbino ausgegeben, entlang, das Geficht
dem Befchauer zugewendet. Er nimmt keinen Antheil an der Thätigkeit der
Gruppe. Das Recht, hier aufzutreten, giebt ihm feine Schönheit. Und wer
wollte ihm das Recht weigern und feiner Erfcheinung zürnen, wenn diefelbe
fo viele gefällige Reize bietet! Dafs Raffael {ich ausfchliefslich von malerifchen
Intereffen leiten liefs, als er diefe Figur fchuf, die vortrefflich den fonß leeren
Raum ausfüllt und belebt, unterliegt keinem Zweifel. Ob in ähnlicher Art die
Rückficht auf die künftlerifche Form dem jugendlichen Frauenkopfe hinter
dem Orientalen und dem Knaben über ihr ausfchliefslich das Recht auf das
Dafein verliehen, oder ob diefe auch inhaltliche Beziehungen in {ich bergen,
bleibt unentfchieden. Jedenfalls verbinden {ie ungezwungen die Pythagoras-
gruppe mit dem Geftaltenkreife, welcher den Vordergrund links abfchliefst.
Auf den hohen Sockel einer Säule hat ein laubbekränzter bartlofer
Mann von liebenswürdig heiterem Ausfehen ein Buch geftellt und lieft
inidemfelben. Jüngling, hinter ihm Pcehend, legt ihm die Hand auf
die Schulter und blickt mit in die aufgefchlagene Schrift, von der Seite
naht {ich ihm ein bärtiger Greis mit einem Knäblein auf dem Arme.
Gar mannigfache Deutungen, die eine fo wenig {icher wie die andere, hat
diefe Gruppe erfahren, dafs man {ich fcheut, die Zahl derfelben noch zu
vermehren. Kein Zweifel, dafs hier die Thätigkeit des Grammatik ers
ver{innlicht wird. Das bekundet nicht nur die Befchäftigung der Glieder
der Gruppe, fondern deutet auch der Kranz auf dem Haupte des Lehrers
an. Denn mit einem Spiele in den Adonisgärten, mit einem Gange durch
belaubte Haine wurde von den Humaniften dasgStudium der Grammatik
verglichen. Damit mochte vielleicht die Erinnerung an die Stellen in
den Schriften Marfilio Ficinds {ich verknüpfen, in welchen Plgtirfs Schön-
heit und Liebenswürdigkeit gefchildert, und wie ihm Frauen folgten und
Eltern die Kinder zur Erziehung brachten, erzählt wird Marfilio
Fiicinds Ideen bildeten die Grundlage für Raffaels Schule von Athen.
Marf.
Ficini
OPP-
1541.