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VI. RAFFAEL IN ROM UNTER JULIUS
acten fchon die Form und den Ausdruck, welche lie auf dem ausgeführten
Gemälde befltzen, bei anderen begnügt er fich, die zufälligen Züge des
Modells, das er gerade benutzte, zu fixiren. Man fleht daraus, wie wenig
die fchöpferifche Thätigkeit der Phantafie nach den Rechenregeln des
gemeinen Verftandes bemeffen werden kann. Da wird nicht ein Gefchäft
bedächtig nach dem andern abgethan, zuerft allein der anatomifche, dann
der phyfiognomifche Theil der Compolition und endlich die Draperie vor-
genommen. Es fchiefsen vielmehr die Strahlen von allen Seiten zufammen
und in jedem Augenblicke fchwebt dem Künftler das lebendige Bild des
Ganzen deutlich vor Augen. Unwillkürlich fchiebt {ich nur bald die eine
Seite desfelben bald die andere vor und lockt zur Bearbeitung, fo dafs
ein ftetiges Hinüber- und Herübergleiten bemerkbar wird.
Aufser den Studien für die beiden gröfseren Gruppen lind noch die
Skizzen des Diogenes und fogenannten Zoroafter (Frankfurt), der beiden
auf den Stufen fchreitenden Männer neben Diogenes (Oxford) und die
Entwürfe für den plaftifchen Schmuck der Halle (Oxford und Florenz)
vorhanden. Alle diefe Blätter überragt aber unendlich hoch an Bedeutung
und Intereffe der grofse Originalcarton, welchen die Ambroflana in Mai-
land bewahrt. Auch nachdem derfelbe vollendet war, fand Raffael
noch' einzelne Aenderungen und Ergänzungen wünfchenswerth. Die
wichtigfte unter den letzteren ift der am Fufse der Treppe fitzende
Mann, der fich an einen Steinfockel anlehnt, in der Hand läffig die.
Feder hält und in das tieffte Grübeln verfunken erfcheint. Diefe Figur
ift fchon zur blofsen Raumbelebung fo wichtig, fehlt auch auf dem
Carton fo auffällig, dafs man beinahe annehmen möchte, in Gedanken
wenigltens habe ihr Raffael fchon von allem Anfange her ihren Platz
angewiefen. ln allem Wefentlichen decken flch fonft Carton und Gemälde.
Doch darf das eingehende Studium des Mailänder Cartons deshalb nicht
für überflüffig gelten. Bei dem beklagensurerthen Zuftande der Freske,
deren Farbenftimmung ganz zerftört ifi, in welcher die Umriffe ihre
Schärfe und Klarheit fchon vielfach verloren haben, giebt oft erft der
Carton den vollen Auffchlufs über die künftlerifchen Abfichten Raffaefsr
Wie mächtig wirkt nicht auf dem Carton die Geftalt des _Di0genes,
welche Frifche zeigen nicht befonders einzelne jugendliche Köpfe! Und
dennoch läfst {ich der Gefammteindruck des Cartons mit der gehobenen
Feftftimmung, welche das Gemälde hervorruft, nicht entfernt vergleichen.
Der Carton fchneidet gleich über den Köpfen Platon's und feiner
verfchiedener Gröfse
-14o; Details N0. 141-
photographirt
I 4 7.
VOn
Braun
136-
1137;