STUDIEN
ZUR
SCHULE
VON
ATHEN.
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alle diefe näheren Bezeichnungen bedurfte es keiner weiteren Anweifung
durch Gelehrte oder weitläuüger literarifchen Studien. Sie waren fo
populär, dafs fle eben fo leicht von jedem Gebildeten gefunden wie
verftanclen werden konnten. Eine Charakteriftik von Philofophen, welche
nothwendig auf die Kenntnifs antiker Schriftquellen zurückgeführt werden
müfste, läfst sich in dem Gemälde nicht nachweifen. Wenigftens er-
fcheinen jene alten Autoren, in welchen man Raffaefs Führer vermuthet
hat, wenig zutreffend. Wundern kann man {ich darüber nicht, da bei Anm.
Raffael das malerifche Intereffe vorwiegend waltete, die alten Schrift-
{leller aber entweder nichts fagende Aeufserlichkeiten vorbrachten oder
in rhetorifchen Wendungen und ContraPcen {ich gefielen. Auch antiken
Büften oder Statuen hat Raffael für feine Geftalten nichts abgefehen,
höchiftens bei der Bildung des Sokrateskopfes von dem in der alten
KunPc herrfchenden Typus {ich leiten laffen. Die beiden Hauptfiguren,
Platon und Ariftoteles, {ind feine eigene Schöpfung, in welcher er das
Bild, das in der Renaiffance von diefen Geiftesfürften galt, frei und
vollendet verkörperte.
Bei der Disputa waren wir fo glücklich, durch Handzeichnungen
einen Einblick in das allmähliche Werden und Wachfen des Gemäldes
Zu gewinnen. Von der Schule von Athen haben fich keine Skizzen
und Entwürfe, welche den Entwickelungsgang des lrVerkes verfinnlichen,
erhalten. Wahrfcheinlich hat Raffael, da ihm in diefem Falle das Thema
genauer umfchrieben übergeben war und durch die Disputa und den
Parnafs die Compofition im grofsen Stile bereits geläufiger geworden, nur
geringe Schwankungen gemacht. Die Zeichnungen, die wir befitzen,
Ünd vorzugsweife Acte, Modellftudien, um die Beinftellungen der einzelnen
Geflalten, ehe er die letzteren drapirte, zu beflimmen. Eine Silberftift-
Zeichnung mit aufgehöhten Lichtern auf blafsgrünlichem Papier in _Oxford
führt uns die Gruppe rechts im Vordergrunde (die Geometer) vor Augen.
Die entfprechenden Gruppen links (die Arithmetiker und Mufiker) {ind
mit gleichen technifchen Mitteln nur auf anders, röthlich, gefärbtem
Papier in einer Skizze der Albertina (Br. I72) gefchildert. Um dem
Modelle für den aufrechtftehenden Mann in diefer Gruppe die Stellung zu
erleichtern und da es hauptfachlich auf die richtige Zeichnung der Beine
ankam, liefs Raffael den Mann auf einen Stab {ich {tützen Nebenan f kizzirte
er ihn aber noch einmal und gab dann auch den Armen und Händen die
richtige Stellung. Einzelne Köpfe zeigen in diefem und in anderen Modell-
a") Vgl. S chußer, Ueber die erhaltenen Porträte
TOphen. Leipzig 1 8 7 6.
S Pfinger, Raffhel und Michelangelo. l.
der
griechifchen Philo-
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