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RAFFAEL
IN
ROM
UNTER
JULIUS
llCh von hinten herangedrängt und beugt {ich über die Baluftrade vor,
um die Wunder und Zeichen beffer zu fchauen. Da deutet nun der
Alte mit der Hand auf den Papft, der auf der höheren Stufe fteht,
als einen der Auserkorenen, welche der Offenbarung theilhaftig wurden.
Noch wären manche Geftalten zu erwähnen, welche den Hintergrund
füllen, meift nur mit den Köpfen zwifchen den Hauptfiguren herausragen.
Sie führen theilweife berühmte Namen. So bemerken wir gleich links
am äufserften Rande im Mönchsgewande den frommen Maler Fra Gio-
vanni da Fiefole; rechts vom Altar laffen die in den Heiligenfchein ein-
gefchriebenen Buchftaben den Thomas von Aquino (zwifchen Ambrofius
und dem eine Palme tragenden Papfie) und den Cardinal Bonaventura,
den doctor seraphicus in der mittelalterlichen Theologieperrathen. Auch
Dante's bekannter Kopf, mit dem Lorbeer bekrönt, iPr leicht kenntlich.
In feiner Nähe im fcharfen Profil fichtbar foll der florentiner Märtyrer
Savonarola Platz gefunden haben. Doch bilden alle diefe Männer nur
eine hiftorifche Staffage, gerade fo wie die Bifchöfe und Mönche dazu
dienen, den kirchlichen Charakter der Verfammlung unmittelbar zur An-
fchauung zu bringen. Die Grundpfeiler und Eckfteine der ganzen Com-
poiition bleiben doch die vier Kirchenvater und die fechs unbenannten
idealen Figuren, welche den Cäfurenieines Verfes vergleichbar die ein-
zelnen Gruppen ebenfo fehr verbinden, wie {ie diefelben in deutlicher
Gliederung auseinanderhalten. NVir zählen fie noch einmal auf: Sie {ind
der Jüngling und der vollbärtige Mann unten an den Schranken, der
vom Rücken gefehene Laie und der Papft auf den vorderen Stufen und
endlich dicht am Altaret der Cleriker, welcher auf die Monftranz deutet
und ihm gegenüber der gewaltige Mann Gottes, der nach oben gegen
den Himmel" weifi. Links vom Altare haben überwiegend, die da den
Glauben fuchen und nach der Wahrheit fragen, Platz gefunden; rechts
vonrdemfelben erfcheinen verfammelt, welche die Offenbarung ahnen, iie
wohl gar mit begeifterten Augen fchauen. Die rechte Betonung und
das volle Leben empfangen aber diefe beiden Richtungen erft durch die
hochragenden Geftalten, welche, von jeder hiftorifchen Befonderheit los-
gelöft, ausfchliefslich ideale Functionen befitzen, rein und kräftig die
Gedanken der ganzen grofsen Gemeinde verkörpern, den Triumph des
Glaubens offen kundgeben.
Hat die liihrwürdigkeit des Gegenftandes einen gewiffen alterthüm-
lichen Ton der Schilderung begünftigt, oder hat Raffael, in der Fresken-
malerei noch wenig geübt, {ich in weifer Vorficht mehr an ältere Mufter
gehalten? Die fcharf abgegrenzten Linien, die beftimrnten Formen, der
helle Farbenton erinnern an Horentiner Zeiten; auch der landlchaftliche