222
RAFRAEL
ROM
UNTER
IULIUS
vollkommene Uebereinftimmuilg und fo innige Beziehung, dafs gewifs jede
Anordnung auf der einen Seite einen entfprechenden Wechfel auf der
anderen hervorrief. Ueberdies fmd alle Neuerungen, alle Striche und
Zuthaten aus der Gefammtidee, welche in Raffaefs Phantafie immer reifer
und reiner emporftieg, hervorgegangen und trafen daher alle Theile des
Gemäldes gleichmäfsig. Die Zahl der Hauptfiguren zu vermehren, kräftige
Einfchnitte in die Gliederung der Compofltion zu machen, die Gruppen
feft und deutlich abzufchliefsen, das pfychologifche Element zu vertiefen,
das tritt uns als das Ziel entgegen, Welchem Raffael in feinen Entwürfen
nachftrebte und dem er mit jeder neuen Skizze immer näher trat, bis
er es in feinem ausgeführten Gemälde vollitändig erreichte.
Ueber der Sorge, die Gefammtcompoiition zu entwickeln, vergafs
aber Raffael nicht die Durchbildung der Einzelgeftalten. Nahe an zwanzig
Blätter haben flch mit Detailftudien für die Disputa erhalten: Köpfe,
Hände, ganze Geflalten, Entwürfe zu Gewändern, die faft alle mühelos
auf der Freske nachgewiefen werden können. Und als er diefe Skizzen
zeichnete, da erfüllte ihn nicht allein gottähnliche Schöpferkraft, da durch-
zitterte ihn auch die göttliche Empfindung befeligender Liebe. Fünf
Liebesfonette kennen wir von Raffael; fie ftammen alle aus der erften
römifchen Zeit, fle flnd fämmtlich auf Studienblätter zur Disputa gefchrieben.
T
Die Gefchichte der EntPcehung der Disputa lölt alle Schwierigkeiten,
welche fich etwa bei einem erften, unvermittelten Anblick der Freske
dem Verftändnifs entgegenftellen. S0 darf denn alsbald zur Befchreibung
des ausgeführten Bildes gefchritten werden. 5:)
Inngoldenen Glanze firahlt der Himmel, welcher den begeifierten
Blicken der gläubigen Gemeinde offenfteht. Engelsreigen {teigen auf und
nieder und erfüllen mit ihrem Jubel den ganzen gewaltigen Himmelskreis.
Sechs gröfsere Engel mit flatternden Gewändern, in Anbetung begriffen,
bilden das befondere Gefolge Gott Vaters, deffen Halbgeftalt über dem
blauen Firmamentbogen fchwebt. Er hält in der einen Hand die Welt-
kugel und hat die andere zum Segen erhoben. Unter ihm, von einem
goldenen Scheine umfloffen, thront Chriftus, von Maria und dem Täufer
umgeben. Chriftus hat um den einen Arm und die Beine einen weifsen
Mantel gewunden; der Oberkörper ift nackt. Er breitet die Hände aus,
an denen Wundmale fichtbar find, die Erinnerungszeichen des Kreuztodes,
Stich
VOD
Keller.