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RAFFAEL
ROM
UNTER
JULIUS
NVindforfammlung (Fig. 60), das andere in Oxford vorhanden ift. Das erfte
führt uns die ganze linke Hälfte des Bildes, wie fie {ich Raffael urfprünglich
denken mochte, fowohl die obere, wie die untere Geflaltenreihe vor
Augen, das zweite in Oxford befchränkt fich auf die Schilderung des
Himmels, giebt aber diefen vollftändig. Die technifche Ausführung ift
in beiden Blättern diefelbe. Sie find mit Sepia gezeichnet, zeigen die
Schatten breit angelegt, die Lichter mit W eifs aufgehöht. Diefe Manier
hat Raffael auch fonft noch angewendet, fie fpricht alfo nicht gegen die
Echtheit, wohl aber mufs die Stumpfheit der Formen und die geringe
Frifche der Zeichnung auffallen. Das Oxforder Blatt läfst uns in der
Nlitte den fegnenden Chriftus fehen, ihm zur Seite auf gleicher Linie
links die Madonna mit zwei Heiligen, rechts den Täufer, welchem eben-
falls zwei Heilige nachfolgen. Unter diefer Geftaltenreihe befindet fich
ähnlich angeordnet eine zweite. Die Stelle, die oben Chriftus einnimmt,
wird durch zwei Figuren, die wohl die beiden Apoftelfürfien bedeuten,
ausgefüllt, rechts und links von ihnen lind in gröfserem Maafsftabe noch
je zwei Heilige, alle mit Büchern in den Händen, wahrfcheinlich die
Evangeliiten, gezeichnet. Der Entwurf in der Windforfammlung zeigt
die gleiche Gruppirung, nur dafs fich in der unteren Reihe noch Engel
zwifchen die Evangeliften und Apoftelfürften fchieben und die erfteren
theilweife in. der Stellung einen leichten Wechfel erfahren haben.
Ein gar weiter Weg trennt diefe Entwürfe von der ausgeführten
Freske. Anfangs, fo fcheint es, hatte Raffael die Abficht, die Seligen
in zwei Reihen über einander zu ordnen. Chriflus erfcheint von den
beiden
Täufer
Gruppen rechts und links gefchieden, die Madonna und der
führen die letzteren an. Im Gemälde bildet ChriPrus mit feiner
Nlutter und dem Vorläufer eine befonclere erhöhte Gruppe, an welche
fich etwas tiefer in einem fchön gefchivungenen Halbkreife die Heiligen
anfchliefsen. Dafs in diefer Aenderung auch die glücklichlte Entwickelung
des urfprünglichen Planes verborgen liege, fagt fchon das blofse Auge.
Von Einzelgeüalten hat Raffael eigentlich nur die Maria und lohannes den
Täufer in das ausgeführte Bild herübergenommen. Die anderen Figuren
wurden entweder ganz fallen gelaffen oder einer durchgreifenden Um-
arbeitung unterworfen. Am meiften erinnern noch die vorderen Evangelifien
in der unteren Reihe an die beiden Apoftel, welche in der Freske an der
Spitze des Halbkreifes ftehen. Für die anfängliche Geftaltung der Gruppen
auf Erden lind wir ausfchliefslich an das NVindforblatt (Fig. 60) gewiefen.
Unverltändlich und unerklärlich bleibt die Architektur in der Ecke,
ein Säulenbau mit Gebälk, auf welchem zwei Engel ftehen, welche an
Stricken das päpftliche Wappen fefthalten. Weder von diefer Tempel-