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RAFFAEL
RO M
UNTER
JULIUS
welche den Eintritt in die neue Kunftlehre bezeichnen, an der Schwelle
der Renaiffance Ptehen, auch die Geftalten Adam's und Evas in fich
faffen. Auf dem Genter Altarwerke prangten diefelben, und von dem
Frescofchmucke der Brancaccikapelle in Florenz bilden fie ein wichtiges
Glied. In beiden Fällen fpricht gerade aus ihnen der neue Geift am
lebendigften. Und als unfer Albrecht Dürer das von ihm ergründete
Maafs leiblicher Schönheit an einem anfchaulichen Beifpiele erläutern, den
Normalmenfchen verkörpern wollte, da fchuf er in dem berühmten Kupfer-
ftiche v. 1504 Adam und Eva. Und fo kam denn auch Raffael
wiederholt auf denfelben Gegenftand zurück.
Beinahe gleichzeitig mit dem Deckenbilde in der Stanza della Segna-
tura zeichnete er den Sündenfall noch einmal für Älarcanton, deffen
Grabftichel gerade um diefe Zeit faft ausfchliefslich Raffaelifche Compo-
fltionen wiedergab. Eine berühmte Studie für diefes Blatt, die Feder-
zeichnung Adam's, bewahrt die Oxfordfammlung. Aufserdem befindet
{ich noch der Sündenfall, einige Jahre fpater gemalt, unter den Kuppel-
bildern der vaticanifchen Loggien. Jede der drei Schilderungen befitzt
ihre eigenthümlichen Reize. Im Kupferftiche erregte der männliche Torfo
die gröfste Bewunderung. Das Loggiengemälde feffelt insbefondere durch
die mannigfaltigen Gegenfätze in der Bewegung des Elternpaares. Aus
dem Deckenbilde der Stanza della Segnatura dürfte aber die milde
Anmuth des Meifters am helliten ftrahlen. Er hatte es auch diesmal gar
ernft mit der Richtigkeit der Formen und der Wahrheit der Bewegungen
genommen. Wie uns ein Studienblatt im Louvre (Br. 267) zeigt, zeichnete er
Adam fünfmal, ehe er ihn in die gewünfchte Stellung brachte. Die Beine
machten ihm am meifien zu fchaffen. Erft nach vier Verfuchen fand er
die rechte Lage. Adam, den befchatteten Kopf feitwarts nach oben
gerichtet, ruht links vom Baume auf einem erhöhten Rafenfitze. Mit
der Linken fiemmt er fich auf denfelben; das eine Bein hängt laffxg
herab, das andere, ftramm gefpannt, berührt den Boden. Eva, die ihm
gegenüber Pteht, hat mit dem einen Arm den Zweig über ihm erfafst
und reicht mit der Rechten dem verlangenden Adam die verbotene
Frucht. DiexFülle und Rundung des kräftig gebauten Körpers unter-
fcheidet fie von den älteren Frauengefialten Raffaefs, doch flnd noch
leife Spuren des Modellftudiums flchtbar, wodurch die Gefltalt den Reiz
naiver Natürlichkeit gewinnt.
Der Poefie zur Seite hat ein Doppelbildt )).'-Xpollo's Krönung
und Marfyas Beitrafungr Platz gefunden. Auch diefe Scene hat
Raffael noch einmal componirt und durch den Meifter mit dem Würfel
in Kupfer Pcechen laffen (Bartfch. XV. p. 206). Doch gebührt der Freske