DIE
DECKENBILDER.
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Natur nach innewohnt, nach einem äufseren Ausdruck. Die beiden nackten
Genien dürfen ihre Glieder frei und ungebunden tummeln und fo die
innere Aufregung kundgeben. Der eine fxtzt, das rechte Bein auf den
Wolken gefpreizt, der andere hat [ich auf ein Bein niedergelaffen und
hält knieend die Schrifttafel. Die Haltung der iPoefiea ift fchon durch
die Nachbarfchaft der anderen Geftalten bedingt. Sie darf fich nicht
allzu fchroff von ihnen unterfcheiden, ihre Figur mufs ähnliche Umrifse
wie die anderen zeigen. S0 bieten die Flügel eine gute Hilfe, die Be-
geiPterung und die Erhebung zum höchften Schwunge anzudeuten.
Neben der Theologie und Poefie, namentlich neben der letzteren
Geftalt, in welche Raffael eine zauberifche Anmuth und Holdfeligkeit ge-
legt hat, haben die übrigen zwei allegorifchen Figuren Mühe flch zu be-
haupten. Im Angefichte der vPhilosophiee möchte man beinahe behaupten,
Raffael habe {ich nicht gleich zurecht gefunden und nicht wie fonft der
Kraft feiner Phantafie unbedingt vertraut. Der gelehrte Künfiler macht
fich, fo fcheint es, in der Anordnung, wie in der Charakteriftik, in hohem
Maafse geltend. Der weifse Marmorthron, auf welchem die Philofophie
{ich niedergelaffen hat, erfcheint reicher gefchmückt und fruchtbarer an
Beziehungen, als die Sitze der anderen allegorifchen Geftalten. Das be-
kannte Bild der Diana von Ephefus tritt den Stuhlwangen vor. Es ift
bis auf geringe Einzelheiten herab fo genau einem der zahlreichen an-
tiken MuPter nachgeahmt, dafs kein Zweifel über die Abhängigkeit von
den letzteren herrfchen kann. Raffael hat eine Gemme oder Münze (oder
eine Statue P) vor Augen gehabt und diefelbe abgezeichnet. Die Mauer-
krone über dem Kopftuch, der doppelte Halsfchmuck, die Haltung der
Arme, der unter der Metallhülle des Leibes herausquellende Kleidfaum,
Alles zeigt die vollkommene Uebereinftimmung mit den alterthümlichen
Schilderungen der ephefifchen Artemis und bietet zugleich das erfte
{ichere Beifpiel der Ausnutzung eines antiken Kunftwerkes in Raffaefs
Lebensgange, vorläufig freilich nur auf einem untergeordneten Gebiete.
Zur Einführung in das Wefen und die Bedeutung diefer Figur genügt
nicht, dafs die beiden von der Hauptgeftalt flch entfernenden Knaben die
Infchrift tragen: CAVSARVM COGNITIO, und dafs die vPhilofophier in
etwas gezwungener Weife zwei Bücher, Naturalis und Moralis bezeichnet,
in den Händen hält. Auch Schmuck und Gewand müffen auf ihren
Charakter anfpielen. Ein Karfunkel ftrahlt in röthlichem Lichte auf ihrer
Stirntdas Gewand zeigt vier verfchiedenfarbige Streifen, in welchen die
vier Elemente anklingen. Der oberfte Streifen blau mit goldenen Sternen
verfinnlicht die Luft, die folgenden: roth mit Salamandern grün mit
Fifchen und gelbbraun mit PHanzen bringen das Feuer, das Waffer und