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F RESKEN.
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eine andere 1523 verbreitete Schrift: Bruder Heinrich von Kettenbachs
Practica. In diefer Flugfchrift werden vornehmlich die Reichsftädte und
Linter ihnen in erfter Linie Nürnberg verwarnt, llCmiFIht durch falfche
Propheten bethören zu laffen, vielmehr auf den Rath der Apoftel zu
hören, aufPaulus, der da mahnt, all Ding zu bewern und behalten was
gut iPc, und auf Johannes," welcher auffordert, die Geift zu bewern ob
fie aus Gott find. Auch Dürefs Bild war eine dem Nürnberger Rath
gewidmete Vermahnung. Er fchildert in feinen Hauptfiguren diefelben
Apoftel, welche Bruder Heinrich von Kettenbach vorführt, er legt dem
Johannes die gleichen Worte fogar in den Mund wie Kettenbach. Wer
wollte den Zufammenhang zwifchen Schrift und Bild, zwifchen Dürer
und Kettenbach bezweifeln? wer ift nicht überzeugt, dafs Dürer die Hoff-
lichen Anregungen zu feinem Apoftelgemälde aus einem literarifchen
Producte geholt hat? Trotzdem bleibt die Qriginalität des Düreffchen
Werkes vollkommen aufrecht und ift der Künftler, der Künftler allein fein
Schöpfer. Gerade fo verhält es {ich mit Raffaefs Fresken in der Stanza
della Segnatura. Auf Geheifs des Papftes gab ein gelehrter Römer die
Gegenftände der Darftellung in allgemeinen Zügen an. Damit war aber
für die künitlerifche Durchführung noch nicht das Geringfte gethan, ob
die Bilder werthvoll oder werthlos ausfallen würden, noch gar nicht ent-
fchieden. Ihr künftlerifches Dafein, und das ift das einzig Wefentliche,
verdanken fie ausfchliefslich Raffael, und fein perfönliches Verdienft iPt
und bleibt es, dafs fle nicht blos den Verftand anfprechen, fondern vor-
zugsweife das Auge und die Phantafle des Befchauers erfüllen und in
diefem einen poetifchen Wiederhall wecken.
Die Zeitfolge der Ausführung wirft kein neues Licht auf die innere
Entwickelung des Gedankenkreifes, welchen die Fresken in der Stanza
della Segnatura fchildern. Wohl bemerken wir den Fortfchritt Raffaefs
während der Arbeit in der Wahl der Formen. Die Geflalten werden
inimer freier und mächtiger, die Charaktere immer ausdrucksvollen Auf
der andern Seite entdecken wir in den Studien zur Disputa ein unflcheres
Taften, ehe die endgiltige Anordnung der Gruppen gefunden wurde.
In den Deckenbildern hallt noch da und dort, befonders in den Kinder-
figuren diemflorentiner Kunftweife und Fra Bartolonlmeds Einflufs nach.
Wir verfolgen das ftetigemWachsthum feiner perfönlichen Kraft, wir
lernen aber keine Vorfjcufen der Compofition, welche fpäter befeitigt
werden, keinen Wechfel des Gedankenkreifes kennen.