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RAFFAEL
ROM
UNTER
JULIUS
fodann leichte Zierbilder in den kleinen Zwifchenfeldern. In jedem der-
felben hatbSodoma auf Goldgrund eine mythologifche Scene und darüber
grau in grau ein Bild aus dem altrömifchen Soldatenleben dargeflellt.
hält fchon fchwer, den Zufalienhang diefer offenbar ganz decorativ
gehaltenen Schilderungen untereinander zu errathen; ficher haben fie
keinen folchen mit den Raffaelifchen Wandgemälden gehabt. Die Frage
alfo, ob vielleicht Raffael der allgemeine Inhalt, die Richtung feiner
Bilder durch die vorgefundenen Anfänge der Deckendecoration vor-
gezeichnet worden fei, mufs verneint werden.
Hat aber Raffael ohne alle Zwifchenftufen den Bilderkreis gleich in
den wefentlichen Dingen fo entworfen, wie wir ihn ausgeführt fchauen?
Nach Vafaris Worten möchte man auf das Gegentheil fchliefsen. Erft
nachdem Raffael ein NVandgemälde vollendet hatte, befahl der Papft die
Zerftörung der älteren Malereien. Diefe Bemerkung knüpft aber Vafari
nicht an die frühefte Arbeit RaffaeYs in der Stanza della Segnatura,
fondern an ein erPc im zweiten oder dritten römifchen Jahre begonnenes
Werk (die Schule von Athen) und verdächtigt dadurch felbft feine Glaub-
würdigkeit. jedenfalls müffen wir bekennen, dafs fxch kein Entwurf,
keine Skizze, keine Zeichnung RaffaeYs nachweifen läfst, welche zu der
Behauptung berechtigte, dafs Raffael anfangs andere Gegenftände zu
malen gefonnen war und erPc nach längerem Schwanken für _den end-
giltigen Gedankenkreis fich entfchieden hatte. Alle Vorarbeiten gehen
von der gleichen Grundlage aus wie die ausgeführten Bilder und zeigen
nur eine allerdings ftetige und überaus fruchtbare Entwickelung der
Compofition in formeller Hinficht. Wenn das Werk dennoch im Laufe
der Arbeit an. Umfang und fachlichem Reichthum zunahm, fo hat Raffael
es noch beffer als Michelangelo in der Sixtina verftanden, die Spuren
des allmählichen Werdens, die jahresringe des ftufenweifen YVachsthums
zu verwifchen und zu verbergen. Der ganze ausgedehnte Bilderfchmuck
in der Stanza della Segnatura tragt einen einheitlichen Charakter, er-
fcheint als die oürganifche Schöpfung einer einzigen Phantafle.
Kaum minder Pcark als diefer Eindruck ift aber der andere, dafs
einem fünfundzwanzigjährigen Jünglinge allein ein fo umfaffendes ge-
dankenreiches Werk fchwerlich zugefchrieben werden kann. Denn es
galt hier nicht etwa blos bekannte hiPtorifcheEreigniffe, volksthümliche
Ueberlieferungen zu ordnen und zufammenzuftellen. DersQeftaltenkreis,
der in der Stanza della Segnatura verkörpert wurde, gehörtegtheilweife
einer ziemlich fern liegenden Welt an, berührte mehr oder wenigerinahe
felbft gelehrte Intereffen und fetzte bei feinem Schöpfer aufser dem
künftlerifäieiiiKönnen und Vermögen auch ein reiches Wiffen und eine