Raffael
in
Rom
unter
Julius
ie gangbare Tradition weckt den Schein, als wäre Michel-
angelo zu der Zeit, da Raffael zuerft die Schwelle des
Vaticans überfchritt, längft in Rom eingebürgert gewefen.
l-g Rechnet man aber die vielen Monate ab, die Michelangelo
in den Steinbrüchen von Carrara zugebracht, und ferner
den langen Aufenthalt in Bologna, fo findet man, dafs beide Meifier ihre
Thatigkeit beinahe gleichzeitig in Rom begannen. Michelangelo Pcand
bereits mehrere Jahre in den Dienften des Papftes, ebenfo lange kannte
er auch die beiden grofsen Aufgaben, welche ihm der Papfl geftellt hatte.
Schwerlich aber war er mit feinen Arbeiten in der Sixtina gegen Raffaels
früheftes Werk im Vatican bedeutend im V orfprung. Damit find alle
Atelieranekdoten über die Rivalität zwifchen Michelangelo und Raffael
abgefertigt, insbefondere die Fabel befeitigt, als ob erPc das Wohlgefallen
des Papftes an den vaticanifchen Gemälden Raffaels den Entfchlufs, auch
die Decke der Sixtina ausmalen zu laffen, geweckt, oder als 0b Michel-
angelo feine Weigerung mit dem Hinweis auf den viel geübteren Raffael
begründet hätte. Wie kam Raffael nach Rom? Die Antwort mufs zu-
nächft bei Vafari gefucht werden. Der Aretiner fpricht zu wiederholten.
Malen von den Anfängen Raffaels in Rom. Wenn er es nur gelegentlich
und nebenbei in den Biographien anderer Künftler thut, dann freilich
hören wir ihm mifstrauifch zu. Als echter Pragmatiker unterordnet er
gern die Staffage fchlechthin dem Effecte der Hauptfiguren und farbt
alle Nebenumitande, wie es für feine Zwecke gerade paffend erfcheint,
und nicht wie jene {ich in der Wirklichkeit darftellen. In der Biographie,
wo Raffael felblt den Haupthelden fpielt, fallen aber diefe Verfuchungen,
von der genauen Wahrheit abzuweichen, fort. Und wenn er hier wie
dort, fo oft er auf den Anlafs der Berufung Raffaefs nach Rom zu fprechen
kommt, in einem wefentlichen Punkte flch treu bleibt, fo mindert das
nicht feine Glaubwürdigkeit.
Als Anlafs der Berufung Raffaefs aber giebt Vafari Folgendes an: