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DIE
DECKENBILDER
DER
SIXTINIS CHEN
KAPELLE.
gemalt worden find. Auch erfcheint es ebenfo gut möglich, dafs der
Künftler im Verlaufe des NVerkes dem Drange feiner Natur nachgab und
eine gröfsere Tiefe und mannigfaltigeren Reichthum der Empfindung den
Geftalten einhauchte, wie dafs er, der Stellung diefer Figuren an der
Decke fpäter fchärfer bewufst, Iie mit der architektonifchen Umgebung
s- enger verband. Eiptönig hat er fle aber niemals gebildetfk)
Die hier beobachtete Ordnung der Schilderung entfpricht nicht noth-
wendig dem zeitlichen Fortgang der Arbeit, f1e bietet aber dem Betrach-
tenden den Vortheil, dafs f1e ungezwungen zu den noch übrigen, rein
decorativen Geftalten überleitet. Diefe finden fich in den dreieckigen
Flächen über den Gewölbekappen, dann, wie bereits erwähnt, paarweis
verbunden als Stütze der Poftamente und endlich zu unterfl als Träger
der Infchrifttafeln. Auf dem äufseren Rande der Gewölbekappen, deren
Scheitel durch einen Stierkopf gefchmückt ift, fitzen je zwei bronzefarbige
Männer. Sie halten Fruchtfchniire in den Händen, welche von den Stier-
hörnern ausgehen oder ftützen und Pcemmen {ich gegen den Bogen an,
erfcheinen bald ruhend, bald in lebendigfter Bewegung, als hätten fie
Antheil an den Kräften, Welche die Gewölbefpannung tragen. Die zu
einem Felde gehörigen Figuren {ind identifch gezeichnet, fie wechfeln
aber in Stellung und Geberde in jedem ieinzelnen Felde, fo dal's dem
plaltifchen Geftaltungsfinne der reichfle Raum offen blieb. Michelangelo
fchuf zwölf Gruppen, in welchen die prachtvollften Lagen verkiörpert
werden. Sie neigen alle zum Mächtigen und Gewaltigen, während die
Kinderpaare unter den Poftamenten und die in natürlichen Farben gemalten
Knabenfiguren unter den Propheten einen ruhigen, faft heiteren Zug
verrathen. Auch hier ilt jede Wiederholung vermieden, in die ver-
fchiedenen Gruppen und Ceftalten ein immer neuer Wechfel gebracht.
Die Kinclerpaare ftrecken die Arme in die Höhe, ftehen wie Karya-
tiden geradaus, kehren flch die Leiber zu, treiben Spiel und unfchuldige
Handzeichmlngexi zu den Fresken
haben frch in verhältnifsmäfsig gröfserer
Zahl erhalten, viele darunter fmd freilich
Copien oder erfl nach den Bildern
gemacht. Aufser den Fragmenten eines
Skizzenbuches in Oxford und Florenz
(Br. 187) verdienen befondere Er-
wähnung: die Röthelzeichnung Adam's
bei Malcolm (Ph. N0. 21), die Skizzen
zu den Figuren auf Poftamenten in
Chatsworth (Br. 2 5), Florenz (Br. 189,
190), Wien (Br. 36), theils mit Röthel,
theils mit der Kreide gezeichnet, die
Variante der ehemen Schlange in
Oxford (B17 2 l, die Skizzen zur libyfchen
Sibylle in Florenz (Br. 19 3) zu einer
nicht ausgeführten in Oxford (Br. 7 3),
die Zeichnungen zu den Lunetterlfiguren
in Chatsworth (Br. 47), Oxford (Br. 70
u. 7 r). Mehrere in England befindliche
Zeichnungen find bis jetzt nicht publi-
cirt worden.