Volltext: Bis zum Tode Julius II. (Bd. 1)

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DIE 
DECKENBILDER 
IN 
DER 
SIXFINISCHEN 
KAPELLE. 
Die Befchreibung der Lunettenbilder kann natürlich nur das grob 
materielle Gerüfte, deffen {ich der Künftler bei dem Aufbau feiner Ge- 
danken bediente, verfmnlichen. Sie läfst ihre reiche Schönheit nicht 
einmal leife ahnen. Michelangelds Worte find die Linien, feine Sätze 
die Formen feiner Geftalten. Wer feine Sprache verftehen will, mufs 
feine Bilder fehen und immer und immer zu ihrer Betrachtung zurück- 
kehren. Vollends unzulänglich erweift fich die Befchreibung des Vor- 
ganges bei folchen Bildern, welche nur durch den fchöpferifchen Formen- 
flnn des Künftlers in das Leben gerufen find, einem Ereigniffe oder 
einem Zuftande immer andere und immer neue formelle Seiten ab- 
gewinnend. Sie fmd mit den mufikalifchen Variationen über ein Thema 
zu vergleichen und empfangen wie diefe ihren Werth durch die vollendete 
Führung. Solchen Variationen müffen fchon die Bilder in den dreieckigen 
Gewölbekappen angereiht werden. Ihr Inhalt ift eintönig, immer und 
immer wieder tritt die Schilderung der Trauer, des entfagungsvollen 
Zuwartens und Harrens auf; obfchon aber derfelbe Gegenitand achtmal 
wiederkehrt, wiederholt flch niemals die Behandlung, treffen immer neue 
feffelnde Züge das Auge. 
 Die Betrachtung beginnt am beften wieder an der Altarfeite, da 
fich von diefer gegen den Eingang zu eine leife Steigerung der Scenen 
bemerkbar macht. In tiefften Gram verfunken, das Antlitz im Schmerze 
erftarrt, gleichfam in das Leere blickend, erfcheint die Hauptfigur der 
erften Gruppe (zwifchen der libyfchen Sibylle und Daniel). Ohne Mantel, 
im engärmeligen Gewande, das Haar kurz verfchnitten fitzt die Frau 
mit gekreuzten Beinen, den Kopf auf die Rechte gePcützt. Sie nimmt 
fo vollkommen die Aufmerkfamkeit in Anfpruch, dafs die beiden anderen 
Figuren, ein älterer lVlann und ein nacktes Kind, ganz zurückgedrängt 
werden. Diefelbe Stimmung, in das Tragifche gewendet, vertritt die 
nächfte Gruppe zwifchen Daniel und der cumäifchen Sibylle. Eine Spin- 
nerin mit zwei reizenden Kindern füllen den Raum aus. Die Mutter 
hat aber die Luft zur Arbeit und die Freude an den Kindern verloren. 
Die Spindel ruht in ihrem Schoofse, fle felbfi läfst die Arme {inken und 
beugt das Haupt, bis es beinahe die Kniee berührt. Eng fchmiegen fich 
die beiden Kinder an die Mutter, zärtlich fchmeichelt ihr das vordere 
Knäblein, xilährend das andere Kind, deffen Kopf über die Schulter der 
Mutter laervorgtickt, fich ängfilich an {ie drängt. Vergeblich ift aller 
Zufpruch und alle Zärtlichkeit. Die Mutter bleibt Pcumm und hat nur 
nur noch die Kraft, ihrem Schmerze nachzuhängen. 
Eine ruhigere Situation fchildert die dritte Gruppe. Die Mutter im 
Vordergrunde quer gelagert, prächtig in ihrer vornehmen ruhigen Haltung,
	        
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