DIE LUNETTENBILDER. l 87
ein neues grofsartiges Leben brachte. Die nächftfolgenden Lunetten-
gruppen tragen einen verwandten Charakter.
In vornehm ruhiger Haltung, den einen Arm auf ein Kiffen auf-
geftützt; mit der Rechten den Kopffchleier über der Bruft zufammen-
haltend, {itzt hier eine würdige römifche Matrone. Sie hat den Blick
in die Ferne gerichtet, vielleicht auf den Gegenftand, auf welchen einer
deriibeiden zur Seite ftehenden Knaben mit dem Zeigefinger hinzeigt.
Diefen Geftus verkörpert die andere Halbgruppe noch kräftiger. Der
Knabe? deutet eindringlich einen fernen Gegenfland an, indem er fein
Geficht dem Vater zuwendet, der mit gefpannter Aufmerkfamkeit der
Richtung folgt und den Finger fchon leife bewegt, um, fobald er den
Gegenftand entdeckt hat, auf ihn zu weifen.
Stillere Zuftände fchildern die Lunettenbilder der Gegenfeite. Eine
Mutter hält ein kleines Kind auf ihremiSchoofse und fchläfert es ein,
während der gröfsere Knabe zu ihren Füfsen in der Wiege ruht. Auf
dem andern Bilde fehen wir wieder einen älteren Mann mit verhülltem
Haupte und über dem Knie gekreuzten Armen in tiefes, trübes Nach-
denken verfunken. In der vorletzten Lunette der rechten Langfeite
wird als Grundtonrder Schilderung wieder das Hinausfchauen in die
Ferne Vangefchlagen. Nach rückwärts wendet fich mit dem Geflcht der
in feinen Hantel eng gehüllte Mann, welchen fein Begleiter, ein kräftiger
Knabe, fo gutherzig anblickt; die Mutter kehrt, ihr Kind mit beiden
Armen inbrünftig an ihre Bruft druckend, den Kopf nach aufsen.
Bei dem Gegenbilde auf der linken Seite möchte man glauben, dafs
Michelangelo, was er fonlt nicht that, die beiden Halbgruppen der
Lunette in ein engeres Verhältnifs zu einander bringen, wollte. Ueber die
Schulter der Mutter hinweg ftreckt das Kind den Arm aus. Grufs und
Zuruf fcheint ihm das andere Kind zu bringen, das nackt zwifchen den
Knieen des Vaters fteht, welcher gleichfalls den Kopf nach rückwärts
Wendet. lft es ein lrrthum, in der letzten Lunette rechts eine Mutter
zu vermuthen, welche in ein Becken die Hand taucht, um ihr Kind zu
wafchen, und ihr gegenüber eine nährende Mutter zu erblicken, die durch
die Handbewegung ihr Kind zu beruhigen fcheint? Es hätten dann Scenen
des innerften Familienlebens, das flch immer gleich bleibt, in der Abficht
des Künfllers gelegen. Um fo ftärker drückt er in den beiden männ-
lichen Figuren auf der andern Bogenhälfte und in den Lunettenbildern
über dem Eingange das refignirte Harren und Pcille Erwarten aus.