I. MICHELANGELUS JUGEND.
idurch die Anfchauung ihres inneren Lebensfeuers gebannt wird. Michel-
angelo und Raffael haben keine neue Grundrichtung der italienifchen
Kunft begonnen. Ihre Natur kehrt ungefähr und beiläufig bei einzelnen
ihrer Kunitgenoffen wieder, fo dafs ein nothdürftiges Bild ihres Wirkens,
eine Ahnung ihrer Ziele auch durch die Erkenntnifs der letzteren ge-
wonnen wird. Perugino, Fra Bartolommeo, Sodoma vereint laffen Raffaefs
NVefen errathen, Signorelli erinnert in Einzelheiten an Michelangelo.
Die Spitze der Entwickelung wäre aber abgebrochen, die Sonnen-
höhe nicht erreicht, wenn auf Michelangelds und Raffaefs Thaten ver-
zichtet werden rnüfste. Diefe beiden Männer find es auch, welche die
Hauptftadt der italienifchen Kunit von Florenz nach Rom verlegten und
damit das Ende aller felbftändigen Lokalfiile herbeiriefen. Sie felbft
nahmen aber noch ihren Ausgangspunkt von der Horentiner Kunft. Von
Raffael mufs es erft bewiefen werden, da die gangbare Ueberlieferuxig
auf die umbrifche Herkunft das gröfste Gewicht legt. Wie innig Michel-
angelds Kunft und auch Michelangelds Leben mit den Schickfalen der
florentiner Staatsgemeinde verknüpft ifl, in welche widerfpruchsvolle Lage
er wiederholt dadurch gerieth, dafs er dem Haufe Medici zu Dank ver-
pflichtet war und dennoch das ganze Gefchlecht, die Verderber feiner
Heimath, haffen mufste, haben bereits die älteften Biographen des Meifters,
der Aretiner Giorgio Vafari, welcher 1550 zum erften Male feines
Lehrers Leben befchrieb, fowie Asc anio C ondivi, der in feinem Buche
über Michelangelo, I 553, Vafarfs Nachrichten vielfach ergänzte und ver-
befferte, ausführlich erzählt.
f Ü"
Am 6. März 1475, an einem Montag, um die vierte Stunde vor
Tagesanbruch wurde in Caprefe, im oberen Tiberthale, dem Lodovico
di Leonardo Buonarroti Simoni ein Sohn geboren, welcher den Namen
-Michelangelo empfing. Der Vater verwaltete im Namen der Republik
eine Richterftelle in Caprefe und Chiufi; nach Ablauf der Amtszeit, welche
nur fechs Monate dauerte, kehrte er wieder nach Florenz, der alten
Heimath feiner Familie, zurück. Von dem alten Lodovico Buonarroti
weifs die Gefchichte des Sohnes manches zu erzählen. Ein Handwerk,
wie er einmal Lorenzo Medici ruhmredig bemerkte, hatte er niemals er-
lernt; er lebte von dem E-rtrage der Güter, welche ihm feine Vorfahren
hinterlaffen hatten. Und da diefe gar geringfügig waren und auch das
Amt, welches ihm die GunPt Lorenzo Medicfs verfchafft hatte, eine Zoll-
fchreiberflelle, wenig eintrug, fo blieb er zeitlebens dem Sohne zur Lafl.
Doch vergafs er niemals feine warme Sorge für des Sohnes Wohl zu