Volltext: Bis zum Tode Julius II. (Bd. 1)

DIE 
SIXTINISCHE 
KAPELLE. 
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hoch, ohne den geringften architektonifchen Schmuck, mit kleinen Fenftern. 
Aber Michelangelds Hand hat aus diefem dürftigen Raume ein Heilig- 
thum der Kunft geftaltet. Und wer vollends die Sixtinifche Kapelle in 
jenen Tagen fah, als noch, freilich nur eine ganz kurze Frift, die nach 
Raffaells Zeichnungen gewebten Tapeten die unteren Wände fchmückten, 
mufste bekennen, dafs nirgends in der Welt eine reichere Fülle und eine 
gröfsere Reife von Kunftkräften auf einem Punkte angefammelt gefunden 
werden könne. Ihre malerifche Decoration verleiht der Sixtina das 
Recht, neben den beidenlglänzenditen Kapellen des Mittelalters in einer 
Linie genannt und gerühmt zu werden. 
Bekanntlich war mit der Ausmalung der Sixtinifchen Kapelle fchon 
zur Zeitihres Erbauers, SiXtus'1V., begonnen worden. An den beiden 
Langwänden wurden die Lebensereigniffe und Thaten Mofes" und Chrifti 
gefchildert, der Befreier Israels und der Erlöfer der Menfchheit einander 
gegenübergeftellt. Di_e Himmelfahrt Mariae auf der Altarwand fchlofs 
den Bilderkreis ab.  Die Gegenftände der Darftellung waren noch der 
Gedankenwelt des Mittelalters entlehnt, welches mit Vorliebe den Ver- 
gleich zwifchen dem alten und neuen Teftamente zog und dafS dort 
verheifsen und bereits in engeren Kreifen vollzogen wurde, was Chriftus 
für die ganze Menfchheit erfüllte, in Wort und Bild unzählige Male 
fchilderte. In Welcher Weife der Bilderfchmuck fortgefetzt werden follte, 
darüber fcheint man zur Zeit Sixtus IV. noch keine fefte Abrede ge- 
troffen zu haben. ]edenfalls dachte damals Niemand an den feftge-_ 
fchloffenen Gemäldekreis, welchen Michelangelo an der Decke gefchaffen 
hat. Er felbfl erzählt, dafs der erfte Entwurf zu der Deckenmalerei fich 
auf zwölf Apoftel in den Bogenfeldern befchränkte und im Uebrigen 
nur mit Ornamenten angefüllte Felder, wie das fo üblich war, anordnete. 
Erft auf Michelangelds Warnung, dafs die Apoftel allein doch einen gar 
zu ärmlichen Eindruck machen würden, wurde ihm vom PapPte freie 
Hand gegeben und der Auftrag ertheilt, die Decke bis zu den unteren 
Hiftorienbildern auszumalen. Bewahren demnach die Bilder in der 
Sixtinifchen Kapelle einen einheitlichen Zufammenhang, fo lag derfelbe 
keineswegs von allem Anfang an in der Abficht des Beftellers und der 
urfprünglichen Rathgeber, fondern wurde erft nachträglich feftgeftellt, 
allerdings mit einer folchen Schärfe und folgerichtigen Klarheit, dafs die 
Muthmafsung wohl aufkommen konnte, ein einziger poetifcher Geil": hätte 
den ganzen grofsen Bilderkreis wie eine Offenbarung plötzlich gefchaut, 
und aus einem Guffe wäre derfelbe dann verkörpert wordenr 
Die Schilderung der Deckengemälde wird überreich Gelegenheit 
bieten, die fchöpferifche Begabung des Künitlers zu bewundern. Schon
	        
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