DIE KUNSTLIEBE JULIUS II. 143
Liebhaberei, fondern erfcheint als eine dem Papftthum und der Kirche
dargebrachte Huldigung. Höüfch im äufseren Urfprung, wird die römifche
Kunft unter Julius II. von einem weltgefchichtlichen Zuge durchweht. Das
ift ihr Vorzug vor der Kunft, wie fie an den anderen Höfen Italiens getrieben
wurde. Nicht, dafs gerade diefer oder jener Hof die Kunft liebte, verdient
ausführliche Erwähnung, als bedeutungsvoll mufs nur die gröfsere Zahl
folcher ßMufenhöfea betont werden. Den Künften Schutz und Huld ange-
deihen zu laffen, die äfthetifche Bildung zu pflegen, gehörte zu einem
vollen füritlichen Dafein. Die römifche Kunft am HofeJulius II. darf dagegen
auf eine ganz befondere, ja geradezu einzige Stellung den Anfpruch erheben.
Sie verwirklicht, wenn auch nur für wenige Jahre, den Traum der voll-
kommen harmonifchen Durchdringung zweier Weltalter und zeigt uns die
Antike und das Chriftenthum zu einer wunderbaren Einheit verfchmolzen.
Bramantes St. Petersbau, Michelangelds Decke in der Sixtina,
Raffaels Fresken in den Stanzen des Vaticans find die unflerblichen
Denkmäler aus der Zeit Julius' II. Sie fmd alle der Verherrlichung der
chriftlichen Kirche und Lehre geweiht, huldigen der Gröfse des Papft-
thums. Des Papites Hauptkirche, feine Kapelle, feine Prunkzimmer
bilden den Schauplatz der künftlerifchen Thätigkeit. Die Formen, in
Welchen Bramante, Michelangelo und Raffael flch bewegen, athmen bei
aller Selbftändigkeit und Freiheit der Künftler einen der Antike ver-
wandten Geift. In doppelter Hinflcht erfcheint in ihren Werken die
Antike wiedergeboren. Abermals hat die Kunft nach vielhundertjährigem
Ringen den Gipfel der Vollendung erklommen und wird von den folgenden
Gefclhlechtern als Mufter verehrt, mit demfelben Ruhmestitel wie die
befte Kunft der Griechen und Römer begrüfst. Sie heifst die klaffifche
Kunft. Den Weg aber zur Vollendung hatte das begeiftertei Studium
der Antike, die Annäherung an die Gefetze und Formen der letzteren
gebahnt. Wie immer, wo die Knotenpunkte weltgefchichtlicher Ent-
wickelung {ich bilden, trafen hier in Rom im Anfange des fechzehnten
Jahrhunderts die rechten Kräfte mit den rechten Männern, folche Kräfte
zu verwenden und in die rechte Bahn zu bringen, zufammen. Gewifs
hätte fich der leidenfchaftliche Wille und die furchtbare Energie des
Papftes ohnmächtig erwiefen, wären ihm nicht durch die Gunft des
Schickfals die gröfsten Künftler nicht blos feines Jahrhunderts zugeführt
worden. Aber eben fo gewifs hätten Bramante, Michelangelo und Raffael
ihre beflen Kräfte zerfplittert, wennnicht der grofsartige Sinn des Papites
alles Kleine und Spielende von ihnen fern gehalten. Nur das Zufammen-
leben diefer Männer, von welchen die einen ihre Kräfte ftetig wachfen
und fich fteigern fühlten, der andere dadurch zu immer gröfseren Forder-