DIE
GRABLEGUNG.
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den ausgebreiteten Armen iit ziemlich treu herübergenommen ins-
befondere aber die freier entwickelte Technik der Oxfordzeichnung
Wieder Zweifel anregtenf Zum Abfchlufs gelangte übrigens die Compo-
fition der Grablegung nicht auf diefem Wege. Es kam ein Augenblick,
in welchem Raffael alle bisher gemachten Studien ungenügend dünkten
und er {ich zu einer völlig neuen Compoiition entfchlofs. Ob zum inneren
Antrieb flch auch äufsere Nöthigung gefellte, 0b erft neue Anfchauungen
die Aenderung herbeiführten oder ob fie nur zeitigten, was in der
Phantafie des Künftlers bereits vorbereitet war, darüber ift uns ein fefizes
Urtheil leider nicht vergönnt. Wir müffen uns begnügen, aus der Natur
des fertigen Werkes Schlüffe auf feine Entitehung zu ziehen.
Drei Momente aus der Leidensgefchichte Chrifti ftanden in der
künftlerifchen DarPcellung in engem Zusammenhange zu einander: die
Kreuzabnahme, die Klage um den Leichnam Chrifti (depofitio) und die
Grablegung (tumulacio). Sie konnten getrennt gefchildert werden, f1e
gingen aber auch vielfach in einander über. Schon bei der Kreuzabnahme
fand auch der Schmerz und die Trauer der Freunde hervorragenden
Ausdruck. Die Klage um den Leichnam Chrifii wird am F ufse des
Kreuzes, nachdem der Körper herabgelaffen worden, laut. Den_ Trägern
des Leichnams folgen die klagenden Frauen, um noch vor dem Begräbnifs
von dem Todten Abfchied zu nehmen. Das Verbindende aller drei
Scenen find die fchmerzerfüllten, klagenden Freunde. Durch keinen
gewaltfamen Sprung kam daher Raffael zu dem Gedanken, an die Stelle
der Depofition die Grablegung treten zu laffen. Er fetzte nur an die
Stelle des früheren Vorganges den unmittelbar folgenden und behielt
fOgar ftofflich einen wefentlichen Beftandtheil der alten Compofition, die
trauernden Frauen, bei, nur dafs er fie von der Hauptgruppe, den Trägern
mit dem Leichnam, abtrennte und zu einer felbfiändigen Nebengruppe
gefialtete. Schon diefe Theilung und Sonderung der Gruppe fällt auf,
noch mehr die Art, wie Chriftus zum Grabe getragen wird. Raffael
hat flch die Träger nicht in fortfchreitender Bewegung gedacht, diefelben
Vielmehr einander zugekehrt, fo dafs der Träger am Kopfende rückwärts
fchreitet, der andere Mann," welcher dasbGrabtuch am anderen Ende
gefafst hat, ihm folgt. Diefe in Raffaefs Umgebung ungewphnliche
Anordnung regt die Frage nach ihrem Urfprunge an. Aus vorraffaelifcher
Zeit ifi {ie zunächft in einem Kupferfiiche Mantegnas nachgewiefen
Worden. Auch hier (wie auf mehreren anderen Kupferftichen des fünf-
Zßhnten Jahrhunderts) treten die Träger einander gegenüber und bewegt
Hch der eine mühfelig mit feiner Laft rückwärts. Mantegna hat aufserdem
gerade fo wie es auf der Grablegung Raffaefs flchtbar ift, die ohn-
SPriuger, Ratfael und Michelangelo. 1, 9