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DIE
MADONNEN
RAFFAELS.
warf Raffael die ganze Compofltion, die Louvrezeichnung dagegen schildert
aufser der forgfaltig ausgeführten Hauptgruppe nur noch rechts den
trauernden Lieblingsjünger Chrifti. Gemeinfam ift beiden Skizzen die
Anordnung der Hauptgruppe. Die Mutter und Maria Magdalena haben
{ich in die theuere Laft getheilt; diefe hält die Beine Chrifti, fein Haupt
ruht im Schoofse der Madonna, welche wieder von zwei Frauen geftützt
wird. An die Stelle des kalten todten Steines, auf welchen bei Perugino
der Körper niedergelaffen wurde, ift hier ein lebendiges, liebevolles
Auflager getreten. Halb fitzend erfcheint, um noch die weiteren Unter-
fchiede anzugeben, Chriftus bei Perugino, der horizontalen Lage viel
mehr genähert auf beiden Raffaeffchen Zeichnungen, welche auch dadurch
von dem älteren Mufter abweichen, dafs fie die unmittelbare Sorge um
den Todten ausfchliefslich Frauen übergeben. Dadurch empfängt die
vKlager einen milderen, zarteren Ton. Auch fonft noch erkennt man
deutlich, wie fehr das Streben des Künftlers, die Schilderung empfindungs-
reich und ausdrucksvoll zu geftalten, überwiegt. Als erfahrener Wann
hatte Perugino insbefondere die ftiliilifche Ausbildung der Compofition
in das Auge gefafst, die Gliederung des Bildes in Gruppen, den Aufbau
der Hauptgruppe in derffhat auch in vollendeter Weife durchgeführt.
{An diefe Dinge denkt Raffael zunächft nur nebenbei. Am wenigften
fucht er in denfelben feinen Lehrer zu übertreffen. Den Schwerpunkt
legt er namentlich in der Louvrezeichnung in die feine pfychologifche
Ausarbeitung der Scene. Die Mutter hat das nächfte, das höchfte
Anrecht an den Schmerz. Sie hat alle Qualen und Leiden mit dem
Sohne empfunden, fie ift in ihm mitgeftorben. Der Mutter gab daher
Raffael die Rolle der Schmerzensreichen, in ihr fammelte er den Ausdruck
tieffter Ergriffenheit. Ueberwältigt von der Empfindung bricht fie
zufammen. Da wenden nun die anderen Frauen ihre Theilnahme von
dem Todten der Lebendigen zu und bemühen flch, die Madonna zu
ittitzen und zu tröften. Nur mechanifch hält Magdalena die Beine Chrifti
auf dem Schoofse, ihre Hände berühren den Leichnam, Geficht und
Blick fmd aber wehmuthsvoll auf die Madonna gerichtet. Noch inniger
drückt forgliche Theilnahme die hinter der Magdalena Pcehende Frau
aus, welche mit leifer Hand das Kopftuch der Madonna lüftet. Diefe
Figur fehlt auf der Oxfordzeichnung, und auch der bärtige Mann, welcher
über der Frauengruppe, diefe abfchliefsend, mit ausgebreiteten Armen
fleht, ift auf derfelben zur linken Gruppe gefchoben worden. Durch alle
diefe Züge erfcbeint das Louvreblatt als das bedeutendere, vollendetere,
und möchte man auch feine iEntitehungszeit fpäter anfetzen, wenn nicht
die gröfsere Annäherung an das Vorbild Peruginds der Mann mit