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DIE
MAD ON N EN
RAFFAEDS.
Br. I 1 5, erhalten) in fein Skizzenbuch, als er llCh als Gehilfe Pinturicchids
in Siena aufhielt, und nahm He auch noch fpäter in Florenz zur Grund-
lage für fein Gemälde. Wann hat die Uebertragilng der Marmorgruppe
aus Rom, wo {ie ehedem im Palafl des Cardinals Francesco Piccolomini
prangte, nach Siena ftattgefunden? Albertini in feiner 1509 dem PapPce
Julius H. gewidmeten Befchreibung Roms nennt die Gruppe in dem
Palafte nicht mehr vorhanden. Würde er aber {ie überhaupt erwähnt
haben (domus reveren. Francisci Piccolomini cardi. senensis in qua erant
ftatuae gratiarurn positae), wenn ihre Entfernung aus dem Palafte nicht
erft vor Kurzem veranlafst worden wäre? Ob demnach Raffael die
Gruppe bereits 1503-4 in Siena und zwar in einem noch mit Maler-
gerüften angefüllten Raume Ptudiren konnte, ruft einige Zweifel hervor.
Was aber Raffaefs Skizze nach dem Marmorbilde anbelangt, fo gehört
die Venezianer Handzeichnung wie das ganze fog. Skizzenbuch zu der
nicht kleinen Reihe von Blättern, bei welchen erft viel guter Wille den
Raffaeffchen Urfprung erkennt. Bei unbefangener Betrachtung zeigt fie
eine ängftliche Sorgfalt, die äufseren Linien genau wiederzugeben, da-
neben aber aufser einer oberflächlichen Modellirung eine auffallende Un-
fähigkeit, den Maafsen des Originals gerecht zu werden. Gefetzt aber,
alle diefe Zweifel wären Lmberechtigt, fo bleibt doch die Thatfache be-
ftehen, dafs das Raffaelfche Gemälde mit der Sienefer Marmorgrtlppe
durchaus keinen engeren Zufammenhang befitzt. Die Anordnung der
drei Frauen auf dem Bilde erfcheint wefentlich verfchieden von der
Gruppirung auf dem Marmorwerke. Die mittlere Figur hält hier nicht,
wie auf dem Gemälde, die beiden Schweftern gleichmäfsig umfafst, die
Figur zur Linken zeigt den Bufen frei, während derfelbe auf dem Ge-
mälde ebenfalls durch den Arm der mittleren Geftalt verhüllt wird.
Diefes Motiv weiß auf andere antike Darflellungen, namentlich auf
Gemmen zurück, die wahrfcheinlich dem Maler vor Augen ftanden, ihn
aBer nur {tofflich anregten. Sein Formenfinn bewegt lieh, wie die Ver-
hältniffe der Figuren, wie insbefondere die Zeichnung der Beine zeigen,
in den Geleifen der oberitalienifchen Schulen und führt den Befchauer eher
in die Nähe Francesco Franciäs, als in die florentiner Werkftätte Raffaelsfi")
Es wäre nicht das einzige Mal, dal's die Weifen der beiden Meifler
verwechfelt würden und Raffael mit feinem Namen für ein Werk des
Goldfchmiedes und Malers von Bologna eintreten müfste. F rancizfs und
RaffaeYs Stil zeigt befonders in Porträten eine auffallende Verwandtfchaft,
Vgl.
3') Grazien befanden üch auch unter den Fresken in P. Schifanoja in Ferrara.
Müntz, Rev. archöol. 1882. fasc. r.