I22
DIE
MADONNEN
RAFFAEDS.
niftifch gebildeten höfifchen Kreifen auf Beifall rechnen durften. Allegorifche
Darftellungen erfreuen {ich der gröfsten Beliebtheit. In diefen konnte
nicht allein der Scharfflnn der Erfinder glänzen, fondern auch die zu
Perfonificationen verflüchtigten Götter geifireich verwerthet werden. Es
ifi nicht zufällig, dafs folche allegorifche Bilder in Oberitalien, im Gefichts-
kreife der Univerlität Padua die beite Aufnahme fanden, und dafs mytho-
logifche und allegorifche Schilderungen am frühefien und häufigften durch
die in Oberitalien blühende Kupferftichktinlt verkörpert wurden. Der
Kupferftich verhält fich gegen den gelehrten Tieffmn durchaus nicht
fpröde, nimmt willig einen doctrinären Beigefchmack an und legt nach
feiner ganzen Natur auf die vlnventiom das gröfste Gewicht. Doch
auch bei einzelnen Gemälden Weifi der Inhalt auf die wpoetica invenzionee
irgend eines gelehrten Humanifien hin. Als Beifpiele mögen Mantegnas
Parnafs und Vertreibung der Lafier und Lorenzo Cofials Mufenhof im
Louvre, oder in einem näheren Kreife Peruginds Sieg der Keufchheit
über die Wolluft im Louvre dienen. Den. Gegenitand zu letzterem Bilde
hatte der Humanift Paris Cerefata in Mantua angegeben. Auch Raffael
hatte in früher Jugend diefer gelehrten Kunftrichtung den gebührenden
Zoll entrichtet. Offenbar ifi das kleine reizende Bildchen in der Londoner
Nationalgalerie, gewöhnlich der Traum des Ritters betitelt, von
einem Humaniften infpirirt wordenili) Ein Jüngling, vollftändig gerüftet,
den Helm auf dem Kopfe, fchläft unter einem Lorbeerbaunie. An feinem
Haupte fteht eine Frau, in Violet und Purpur gekleidet, und hält über
den Schlafenden ein Schwert und ein Buch, während zu feinen Füfsen
eine andere zierlichere Dame mit wehendem Haare, einer Korallenfchnur
als Halsfchmtick, das rothe Gewand (mit blau gewäffertern Mieder) in
reiche Falten gelegt, ihm einen Myrthenzweig darbietet. Tapferkeit und
Weisheit winkt dem Träumer auf der einen, holde Liebe auf der anderen
Seite. Schwerlich ift in dem trefflich erhaltenen (auch die ausgeführte
Zeichnung dazu belitzt die Nationalgalerie, Fig. 44) Bildchen Hercules
am Scheidewege gemeint. Dann hätten die Gegenfätze zwifchen den
beiden Frauen anders gegriffen werden müffen. Immerhin mochten aber
dem unbekannten Dichter unter den weiblichen Geftalten Minerva und
Venus vorfchweben und dürfte die Deutung, dafs der Jüngling zwifchen
dem Reiche der einen oder der anderen zu wählen habe, den Sinn der
Darflellung
treffen.
Stich von L. Gruner. Skizze für
die zwei {lehenden Figuren in Weimar.
M) Ueber Hercules am Scheidewege
und die antiken Schildemngen diefer
Scene vgl. W e 1 c k e r, Alte Denkm. III,
Tiaf. 20.