Volltext: Bis zum Tode Julius II. (Bd. 1)

DIE 
ANTIKE 
DER 
RENAISSANCE. 
und fechzehnten Jahrhundert genau unterfchieden werden. Die frifche 
jugendliche Begeifterung, der heilige Ernii, welche in der älteren Künftler- 
fchaar Walteten, erklären allein die merkwürdig fruchtbare V erwerthung 
felbPc untergeordneter NVerke der antiken Kunft. ragmente von Bau- 
gliedern, verftümmelte Relieftafeln, Sarkophage reichten hin, um die 
Phantafie der Väter der Renaiffance mit neuen schönen Formen zu 
füllen und die Thätigkeit ihrer Hand zu regeln. Ornamentale Motive 
Enden die eifrigfie Nachahmung, und felbfi von eigentlichen Figuren 
werden folche, die fich zu decorativen Zwecken eignen, am früheften 
verwendet. Die Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts liefs begreiflicher 
Weife in der Hingabe an die Antike den Schwefierkiinfien, insbefondere 
der Architektur den Vortritt. Die Natur ihrer Aufgaben, der verhältnifs- 
mäfsige Mangel an antiken Muftern erklären diefe Zögerung. Zwar wird 
auch hier die Bewunderung laut. Die Maler Griechenlands werden als 
die wahren Helden der Kunft gepriefen, ihre Namen in den Kunfttractaten 
rühmend wiederholt, ihre NVerke dafelbft aufgezählt, theilweife fogar be- 
fchrieben. Diefer Enthufiasmus ift aber noch vorwiegend literarifcher 
Natur ohne fonderliche Bedeutung für die Kunftpraxis. Der unmittelbare 
Einflufs der antiken Kunft auf die Malerei des Quattrocento mufs auf 
das geringfte Maafs eingefchränkt werden. Bei Schilderungen antiker 
Geftalten oder wohl gar der griechifchen Götter hallt noch das phan- 
taftifche Element nach, in welchem das Mittelalter die Helden der Vorzeit 
Üch bewegen liefs. Gerade im Angeflcht diefer mythologifchen Dar- 
ftellungen, z. B. der Geburt der Venus von Aleffandro Botticelli, merkt 
man, dafs die älteren Maler noch gar wenig tief in das antike Formen- 
ideal eingedrungen lind. Zahlreich find nur die ftofflichen Anregungen, 
Welche die Mythologie, die Gefchichte und Kunltgefchichte der Alten 
ihnen bot, aber auch diefe empfangen fie nicht unmittelbar, fondern 
durch die Humaniften vermittelt. Man geht nicht irre, wenn man die 
allerdings nicht feltene NViedergabe antiker Mythen und Gefchichten als 
den Widerfchein literarifcher Tendenzen auffafst, die literarifchen Rich- 
tungen in diefen Kunltwerken betont. 
Leon Battifta AlbertYs Rath an die Maler, fle möchten {ich mit 
Dichtern, Rednern und Gelehrten gut vertraut machen, da diefe ihnen 
neue Gedanken, Inventionen zuführen und im Componiren eines Bildes 
Vverkthätigen Beiftand leiPcen würden, war auf fruchtbaren Boden gefallen. 
Die Humaniften erfcheinen in der That im fünfzehnten Jahrhundert viel- 
fach als die Helfer der Maler; fie erzählen ihnen fchöne Fabeln und Ge- 
fchichten aus Lucian und anderen alten Autoren, fle flnd auch bereit, 
ihnen eigene vpoetifche Inventionena mitzutheilen, welche in den huma-
	        
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