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DIE
MAD ONNEN
RAFFAEDS.
ein Schwung der Form, welche ihre Werke zu Markfteinen in der Ent-
wickelung der italienifchen Malerei ftempeln. Schon die Bildergruppe,
welche unter dem Namen: xMaria im Grünem zufammengefafst wurde,
zeigt, welchen Nachdruck Raffael auf gefchloffene Umrifslinien legte.
Doch beftimmen diefe hier nicht den Charakter des Bildes, immer wird
vielmehr die Schilderung des heiteren Mutterglückes und fröhlichen
Kinderfpieles den gröfsten Eindruck üben. Ungleich ftärker fpricht fich
die Abficht des Künftlers, durch einen architektonifchen Aufbau der Gruppe
zu wirken, in einem kleinen Bildchen der Madrider Galerie, der Madonna
mit dem Lamme, aus. a) (Fig. 42.) Das Chriftkind, von der knie-
enden Madonna feftgehalten, reitet auf einem Lamme und blickt zu jofeph
empor, welcher auf den Stab geftützt fich über die Madonna niederbeugt.
Offenbar hatte Raffael die erfte Anregung zu diefer Scene von Leonardo
empfangen, welcher in einem bekannten Gemälde (Louvre) gleichfalls das
Kind zu Füfsen der Madonna mit einem Lamme fpielen läfstfiiiii) Doch
überwand er rafch die Abhängigkeit vom Mufter. Ungezwungen in den
Bewegungen, natürlich in dem ganzen Vorgang, von köftlicher Lebendig-
keit in den Köpfen erfcheint auch diefes Bild zunächft als eine einfach
wahre Schilderung harmlofen Familienglückes. Die feinfinnige Abwägung
der, Gruppe verfteckt {ich hinter den frifchen, der Wirklichkeit abge-
laufchten Zügen; fie hat aber dennoch unleugbar die Hand des Künftlers
als Ziel geleitet. Das Chriftkind bildet die Spitze, jofephus die Bafis
eines fchiefen Dreieckes, mit gerade fo viel Abweichungen von der geo-
metrifchen Figur, um alles Starre und mechanifch Geregelte zu vermeiden.
Dadurch offenbart fich das trefflich erhaltene, hell leuchtende Bildchen,
mit der Münchner heiligen Familie aus dem Haufe__Canigiani
verglichen, als die reifere Schöpfung. Wim) Hier ifl: der architektonifche
Bau der Gruppe viel ftrenger feftgehalten. Die Umrifslinien bilden noch
deutlicher ein Dreieck, die Compofltion ahmt noch genauer die Figur
einer Pyramide nach. Aber gerade diefe ängftliche Regelmäfsigkeit deutet
die noch unvollkommene Herrfchaft desiKünftlers über die Darftellung
an, welchen Glauben auch die wiederholten Anfätze Raffaefs zu Ent-
würfen für das Bild beftätigen. Die freie Löfung der Aufgabe verlangt,
dafs die Regel die Phantafiefchöpfung leicht umfpiele-und nicht dem
Auge des Befchauers als Schranke der letzteren {ich aufdränge. Das ift
aber in der Madonna aus dem Haufe Canigiani einigermafsen der Fall.
Stiche von Garavaglia und Lapi.
Vgl. die Tafel Giampetrinds im
Mufeum Poldi-Pezzoli in Mailand.
am?) Stich von Amsler.
Albertina. Br. 1 5 5, im
Duc d'Aumale. Br. 1 2 2.
Skizzen in
Beütze des