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DIE
MADONNEN
RAFFAELS.
genähert. Wie das Kind fich abmüht, an der Mutter emporzixklettern,
fchildert die Madonna? aus dem Haufe Orleans; den, niachftfolgenden
Augenblick verlinnlicht die Madonna aus dem Haufe Tempi in
München. a") Das Kind hat {ich glücklich feinen Platz erobert und fchmiegt
fich an die Mutter an, welche {ich gleichfalls erhoben hat und das Chrift-
kind mit wahrer Inbrunft an ihre Bruft prefst. Der intimen Natur ift
der Zug abgelaufcht, dafs fich Wange an Wange legt, die Madonna dabei
ihr Kind zärtlich anblickt, diefes aber die Liebkofung doch mehr
mechanifch empfängt, den Blick nach aufsen wendet. Wie in der Stimmung
fo ift auch in der technifchen Durchführung diefes Bild der Madonna aus
dem Haufe Orleans verwandt, der harmonifche Eindruck erfcheint fogar
durch den hellen Ton des landfchaftlichen Hintergrundes verftärkt.
Von der Madonna del Granduca, auf welche noch der Abglanz alter
Heiligkeit {ich legt, bis zur bmenfchlich glücklichen Madonna Tempi iPc
ein_weiter Weg. Er führt aber noch weiter. Die Sammlung des Lord
Cowper bewahrt noch ein zweites Marienbild, welches nach feinem
früheren Standorte in Florenz, die Madonna aus dem Haufe Nic-
colinim") genannt wird und mit der Jahreszahl 1508 bezeichnet iPc.
Auf dem Schoofse der Madonna, auf einem weichen weifsen Kiffen
{itzt das Chriftkind. Es hält {ich am Bruftfaume des mütterlichen Kleides
feft, iwendet den Kopf nach vorn und blickt fröhlich lachend aus dem
Bilde heraus. Die MELÖOIEIH. wehrt mit der Hand dem Ungeftüm des
Kindes, freut {ich aber dennoch an feinem Behagen und richtet zärtlich
das Auge auf dasfelbe. Wie die Innigkeit der Beziehungen {ich leife zu
löfen beginnt, insbefondere das Kind an Selbftändigkeit, frifchem Wefen
zunimmt, fo f1nd auch die Formen gröfser und die Bewegungen freier
gehalten und damit in Verbindung das Colorit kräftiger als gewöhnlich
behandelt. In der technifchen Ausführung wefentlich verfchieden, in der
Stimmung dagegen und in der Auffaffung eng verwandt mit der Madonna
Niccolini erfcheint die Madonna aus dem Haufe Colonna in
Berlin. WM) ]ene Verfchiedenheit erklärt {ich aus dem zufällig oder abficht-
lich unfertigen Zuitande des Bildes. Kaum dafs die Farbe den Grund
bedeckt; die Tonübergänge nach der Tiefe hin werden eben nur ange-
deutet, die Schatten flüchtig erwähnt. Vollendet erfcheint dagegen die
k) Stich von]. L. Raab. Skizzen:
Albertina Br. 160; Chatsworth.
Stich von A. Perfetti. Silber-
flichzeichnung für den Kopf des
Kindes in Lille Br. 57.
Stich von E.
Albertina Br. 153;
British Mufeum Br.
Mandel.
Florenz
8 5.
Skizzen :
Br. 5 o4.