Volltext: Bis zum Tode Julius II. (Bd. 1)

MA1)ONNA 
COLONNA. 
Erft fpät und nur in Verbindung mit einem anderen ftärkeren Motive 
begegnet fie uns unter feinen iiorentiner Bildern. Für die Madonna 
Colonna (Berlin) benutzte er das Buchmotiv und zwar in ähnlicher 
Weife, wie auf der zuletzt erwähnten Wiener Zeichnung, welche denn 
auch in der That zu dem Gedankenkreife gehörte, aus welchem die Madonna 
Colonna hervorgegangen ift. Damit foll natürlich nicht behauptet werden, 
dafs die angeführten Zeichnungen eine Stufenleiter bilden, welche fchliefs- 
lich in dem Gemälde der Madonna Colonna endigte, wie denn überhaupt 
der Glauben gebannt werden mufs, als ob Raffael unausgefetzt an der 
Entwickelung eines Motives arbeitete und erft, nachdem er dasfelbe er- 
fchöpft hatte, ein anderes in Angriff nahm. S0 mechanifch regelrecht 
wirkt und fchafft die Phantafie keineswegs. Der wirkliche Vorgang war 
vielmehr fo, dafs Raffael heute einen künftlerifchen Gedanken fafste und 
ihm Leben und Körper einzuhauchen annng, morgen aber vielleicht von 
einem anderen ergriffen wurde, der dann die nächfte Thätigkeit in An- 
fpruch nahm. So kreuzten {ich und fchnitten {ich die verfchiedenen 
Gedanken und Entwürfe, ohne dafs über ihre Aufeinanderfolge irgend 
welche inneren Gründe entfcheiden. Vollends die endgiltige Ausführung 
einer Skizze in Farben erfcheint überwiegend von äufseren Bedingungen 
abhängig. Nur das Eine darf als gewifs gelten: wenn Raffael auf einen, 
bereits einmal in die künftlerifche Form gefafsten Gedanken zurückkommt 
und ihn wiederholt durcharbeitet, fo mufs in cliefen neuen Verkörperungen 
nach irgend einer Richtung der F ortfchritt offenbar werden. Denn in 
feiner Phantafie haften die früheren Entwürfe feft  kein grofser Künitler 
iPc vergefslich  und helfen die neuen Formen beftimmen. In diefem 
pfychologifchen Sinne darf man die nach dem höheren tGrade der Voll- 
endung beftimmte Reihenfolge von Entwürfen eines Bildmotivs als auch 
der Zeitfolge wefentlich entfprechend bezeichnen. 
Eine zweite innerlich verwandte Gruppe von Skizzen und Gemälden 
fchildert das fiill innige Zufannnenleben von Mutter und Kind, welche 
unbekümmert um die übrige Welt vollkommen llCh felbft genügen und 
die Seligkeit der ungetrübten Hingabe an einander genießen. Die 
Madonna, bald ftehend, bald ützencl, hält das Kind in ihren Armen, 
unterPtützt es, wenn es {ich aufrichten, die Mutter umhalfen, an ihre Bruft 
56h anfchmiegen will. Den Ausgangspunkt für diefe Auffaffung ent- 
decken wir in den Madqnnenbildern aus älterer Zeit, welche die Mutter 
Gottes darllellen, wie {ie das Chriflkind den Gläubigen zur Anbetung
	        
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