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Goethes
Ästhetik.
Erzieher von Schillers nachgelassenen Kindern, Abeken,
warm für das Werk gegen seine zahlreichen Kritiker
eintrat, freute sich Goethe besonders darüber, dass der
junge Mann das Buch als ein für sich bestehendes, mit
eigenem Leben begabtes Ganzes angesehen. „Ein solches
Werk," sagte nachher der Dichter zu ihm, "wächst
einem unter den Händen und legt einem die Not-
Wendigkeit auf, alle Kraft aufzubieten, um seiner Meister
zu bleiben und es zu vollendenf")
Schon bei seinem ersten Drama war es ihm eben
so gegangen; die ersten Akte des ,Götz' wurden
ungefähr das, was sie werden sollten; in den folgenden
aber, besonders gegen das Ende, rifs ihn eine wunder-
same Leidenschaft unbewufst hin. Er hatte sich, indem
er Adelheid liebenswürdig zu schildern trachtete, selbst
in sie verliebt, unwillkürlich war seine Feder nur ihr"
gewidmet, das Interesse an ihrem Schicksal nahm über-
hand, während Götz innnerinehr in den Hintergrund trat?)
Der echte Künstler offenbart sich auch dadurch,
dafs er nicht selten zwecklos schafft, ohne an Ruhm
und Nutzen zu denken, und das allein läfst ihn oft
schon unverständig erscheinen. Goethe hat vieles ge-
dichtet, was nicht aufgeschrieben wurde, und vieles, was
nachher gedruckt wurde, entstand zu einer Zeit, wo er
an ein gröfseres Publikum gar nicht dachte. Als er den
,Götz' niedergeschrieben hatte, hatte er manches daran
auszusetzen, und er setzte sich sogleich hin und ge-
1) 27. März 1810. Erinnerungen R. B. Abekens von Dr.
A. Heuermann. Osnabrück 1895. 9) Vgl. Aus meinem Leben
III, 13.