NVesen
des
Dichters.
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S0 ging es Goethe mit manchem Gedichte. Im
Februar 1818 kehrte er in nächtiger Stunde von Cams-
(lorf bei jena nach der Gasthofsmansarde zurück, wo
er (lamals wohnte; der klare Sternhimmel brachte ihn
in eine wundersame Stimmung, und plötzlich stand ein
Gedicht vor ihm; er konnte selber nicht sagen, woher
es kam und wohin es wollteÄ) Es war so wunderlich-
unverstäutllich wie die Stimmung, aus der es geboren,
aber gerade dieser rätselhaften Herkunft wegen liebte
es Goethe und hörte es gern, wenn es ihm später vor-
gesungen wurde:
„Um hrlitternncht ging ich nicht eben gerne,
Klein-kleiner Knabe, jenen Kirchhof hin
Zu Vaters Haus, des Pfarrers; Stern am Sterne,
Sie leuchteten doch alle gar zu schön
Um Mitternacht.
XVenn ich dann ferner in des Lebens WVeite
Zur Liebsten mufste, mufstc, wcil sie zog,
Gestirn und Nordschein über mir im Streite,
Ich gehend, kommend, Scligkeitcn sog
Um Mitternacht,
Bis dann zuletzt des vollen Mondes Helle
S0 klar und deutlich mir ins Finstrc drang,
Auch (lcr Gedanke willig, sinnig, schnelle
Sich ums Verganghic wie ums Künffgc schlang.
Um Mitternacht.
Nicht alle Poesie Goethes ist so inkommensurabel,
fast an das Nonsensikalische mancher Volkslieder er-
innerndß) aber viele Strophen sind doch in gleicher
Weise entstanden.
vgl.
1) Annalen 1818.
Nationelle Dichtkunst
9) Die
1828.
Ausdrücke
sind
VOII
Goethe,