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verschliefst und versteckt, wird hier frei und flüssig an
den Tag gefördert; wir erfahren die Wahrheit des Lebens
und wissen nicht wie. Shakespeare gesellt sich zum
Weltgeist: er durchdringt die Welt wie jener; beiden ist
nichts verborgen: aber wenn des Weltgeists Geschäft ist,
Geheimnisse vor, ja oft nach der That zu bewahren, so
ist es der Sinn des Dichters, das Geheimnis zu ver-
schwatzen und uns vor oder doch gewifs in der That zu
Vertrauten zu machen. Der lasterhaft Mächtige, der wohl-
denkende Beschränkte, der leidenschaftlich Hingerissene,
der ruhig Betrachtende; alle tragen ihr Herz in der Hand,
oft gegen alle Wahrscheinlichkeit; jedermann ist redsam
und redselig. Genug, das Geheimnis mufs heraus, und
sollten es die Steine verkünden. Selbst das Unbelebte
drängt sich hinzu; alles Untergeordnete spricht mit, die
Elemente, Hi1nn1el-, Erd- und Meerphänomene, Donner
und Blitz; wilde 'l'iere erheben ihre Stimme, oft
scheinbar als Gleichnis, aber ein wie das andere Mal
mithanrlelnd."
In dem römischen Briefe an Frau v. Stein lasen
wir vorhin auch die Stelle: „Wer sich mit Ernst hier
umsieht und Augen hat zu sehen, mufs solid werden,
er mufs einen Begriff von Solidität Rassen, der ihm nie
so lebendig ward." Solidität bedeutet hier wieder eine
Art Wahrheit; Goethe fühlte sie in sich wachsen durch
das ruhige Beobachten der antiken Bilder um ihn herum.
Die Künstler der alten Welt hatten diese Solidität. Sie
zauberten ihren Landsleuten nichts Unwahreslvor, ver-
steckten nicht schwiichlichen Schund hinter allerlei
Dekoration, suchten nicht über (las Material oder den