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Goethes
Ästhetik.
Als solche gesegneten Folgen kennen wir den ,Eginont',
den ,'l'asso', die ,Iphigenie'. Aber auch alle späteren
Werke zeugen von der gleichen künstlerischen Wahrlurftig-
keit. Jemand wollte wissen, 0b die ,Wahlverwandt-
scl1aften' wahr seien, und meinte damit, 0b sie Abbilder
wirklicher Erlebnisse seien. „Der blofsen Neugierde soll
man nicht Rede stehen," antwortete Goethef) und: „]ede
Dichtung, die nicht übertreibt, ist wahr, und alles, was einen
(lauernden, tiefen Eindruck macht, ist nicht übertrieben."
Goethe wufste wohl, dafs ihn gerade seine Sachlich-
keit von geringeren Dichtern unterschied. Vor Sterne
und seiner ,sentimentalen Reise' hatte er grofsen Respekt,
aber das Heer seiner Nachahmer, die nun ihre Reise-
beschreibungen fast durchgängig mit ihren Gefühlen und
Ansichten füllten, imponierte ihm gar nicht. „lch dagegen
hatte die Maxime ergriffen, mich soviel als möglich zu
verleugnen und das Objekt so rein, als nur zu thun wäre,
in mich aufzunehmen," erklärt er, wo er in seinen Annalen
von 1798 seine Beschreibung des römischen Karnevals
erwähnt. Als Schiller nach einem langen kalten Ver-
hältnis freundschaftlich gegen Goethe zu empfinden an-
fing und ihm etwas Ehrendes zu sagen das Bedürfnis
hatte, konnte gerade er nichts Besseres schreiben als
die Zeilen: „Ihr beobachtender Blick, der so still und
rein auf den Dingen ruht, setzt Sie nie in Gefahr, auf
den Abweg zu geraten, in den sowohl die Spekulation
als die willkürliche und blofs sich selbst gehorchende
Einbildungskraft sich so leicht verirrtf") Und Goethe
selbst schrieb den Wert seiner Dichtungen in erster
1) Gespräch mit einem Unbekannten 1809,
Schiller an Goethe, 23. August 1794.
Biedcr
mann II,
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