Göttin XVahrhcit. 59
und Bedeutende seiner Gegenstände verstehen lernt und
nicht aus Unkenntnis Fehler begeht, die der Kenner
schmerzlich empfindet. 1)
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Doch allein durch solche Vermeidung von Irrtümern
entsteht noch nicht die Wahrheit, die wir vom Künstler
erwarten. Näher kommen wir ihr, wenn wir sie der
Sachlichkeit oder Objektivität gleichsetzen. Sachlichkeit
war Goethes ständiges Bestreben bei alle1' Bethiitigting,
sie war ihm namentlich auch das erste Gebot seines
künstlerischen Gewissens. Er empfand sie nicht blofs als
Gesetz, sondern zugleich als etwas Befreiendes, Be-
glückendes und Segensreiches. Als er zehn Tage in
Rom war, schrieb er an die Freundin in Weimar: "Ich
lebe nun hier mit einer Klarheit und Ruhe, von der
ich lange kein Gefühl hatte. Meine Übung, alle Dinge,
wie sie sind, zu sehen und abzulesen, meine Treue,
das Auge licht sein zu lassen, meine völlige Entäufserung
von aller Prätention kommen mir einmal wieder recht
zu statten und machen mich im stillen höchst glücklich.
Alle Tage ein neuer merkwürdiger Gegenstand, täglich
frische, grofse, seltsame Bilder Wer sich mit
Ernst hier umsieht und Augen hat zu sehen, mufs solid
werden, er mufs einen Begriff von Solidität fassen, der
ihm nie so lebendig ward. Der Geist wird zur
"Tüchtigkeit gestempelt, gelangt zu einem Ernst ohne
Trockenheit, zu einem gesetzten Wesen mit Freude.
Mir wenigstens ist es, als wenn ich die Dinge dieser
Welt nie so richtig geschätzt hatte als hier. Ich freue
mich der gesegneten Folgen auf mein ganzes Leben."
Vgl, Didcrols Versuch, I. Kap.