Göttin
Wahrheit.
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„So hat der Stand eines Baumes, die Art des
Bodens unter ihm, andere Baume hinter und neben
ihm, einen grofsen Einllufs auf seine Bildung. Eine
Eiche, die auf der windigen westlichen Spitze eines
felsigen Hügels steht, wird eine ganz andere Form er-
langen als eine andere, die unten im weichen Boden
eines geschützten Thales grünt. Beide können in ihrer
Art schön sein, aber sie werden einen sehr verschiedenen
Charakter haben und können daher in einer künstlerisch
erfundenen Landschaft wiederum nur für einen solchen
Stand gebraucht werden, wie sie ihn in der Natur hatten.
Und deshalb ist dem Künstler die mitgezeichnete Um-
gebung, wodurch der jedesmalige Stand ausgedrückt
worden, von grofser Bedeutung."
S0 wird der Landschaftsmaler ein wenig Naturforscher
sein müssen, ehe er in seiner Kunst vollkommen wird.
„Ein Landschaftsmaler mufs viele Kenntnisse haben. l)
Es ist nicht genug, dals er Perspektive, Architektur und
die Anatomie des Menschen und der Tiere verstehe,
sondern er mufs sogar auch einige Einsichten in die
Botanik und Mineralogie besitzen: erstere, damit er das
Charakteristische der Bäume und Pflanzen, und letztere,
damit er den Charakter der verschiedenen Gebirgsarten
gehörig auszudrücken verstehe. Doch ist deshalb nicht
nötig, dafs er ein Mineralog vom Fache sei, indem er
es vorzüglich nur mit Kalk-, "fhonschiefer- und Sandstein-
gebirgen zu thun hat und er nur zu Wissen braucht, in
welchen Formen es liegt, wie es sich bei der Ver-
Witterung spaltet, und welche Baumarten darauf gedeihen
oder verkrüplueln."
Eckcrmann,
Dezember
1831.