Göttin
Wahrheit.
Wenn wir die Erklärungen lesen, in denen Goethe die
Kluft zwischen Wirklichkeit und Kunst aufdeckt
und wo er die Künstler vor dem Ansinnen verwahrt, das
Wirkliche wiederzugeben, da kommt uns vielleicht das
wunderbare Gedicht in den Sinn, (las er allen seinen
Werken als Prolog vorangestellt hat. Er ist am frühen
Morgen den Berg hinauf gestiegen; weifslicher Nebel
huscht in wechselnden Gestalten um ihn herum;
"Auf einmal schien die Sonne durchzudringcn,
Im Nebel liefs sich eine Klarheit schn."
Und wirklich bricht ein Glanz mächtig durch die
T rübe, seine Augen fast blendend, aber nicht die Sonne
ist es, sondern ein Niegeschautes:
"Da. schwebte, mit den Wolken hergetrageiz,
Ein göttlich Weib vor meinen Augen hin,
Kein schöner Bild sah ich in meinem Leben;
Sie sah mich an und blieb verweilend schweben."
Und wer ist die Göttliche, die nun mit ihm Zwie-
sprache hält? Seine beste Freundin, seine treueste
Trösterin, seine freigebigste Glückspenderin: die Muse.
Und der Name seiner Muse? Die Wahrheit!