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Goethes
Ästhetik.
Goethe verlangte für die Kunst noch viel gröfsere
Rechte gegen die Natur. Sie darf auch dasjenige
dichterisch bilden, was der Natur zu schaden unmöglich
war. Die Kunst weifs von Hiegenden Menschen und
redenden Tieren, sie läfst Götter auf Erden wandeln.
Die jungfräuliche Mutter ist für den nüchternen Realisten
ein Widerspruch in sich selbst, aber der Liebhaber
des Schönen verlangt sie. „So wie die Kunst Centauren
erschafft, so kann sie uns auch jungfräuliche Mütter
vorlügen; ja es ist ihre Pflicht. Die Matrone Niobe,
Mutter von vielen erwachsenen Kindern, ist mit dem
ersten Reiz jungfräulicher Brüste gebildet. ja, in der
weisen Vereinigung dieser Widersprüche ruht die ewige
Jugend, welche die Alten ihren Gottheiten zu geben
wufstenf")
„Allc Blüten müssen vcfgchcn, dnfs Früchte beglücken:
Blüten und Frucht zugleich gcbct ihr Muscn allciußg)
Die Landschaft von Rubens, von der vorhin die
Rede war, legte Goethe seinem Schüler ein zweites
Mal vor und hiefs ihn besonders auf die Beleuchtung
achten?)
„Alle diese Dinge, die wir dargestellt sehen, die
Herde Schafe, der Wagen mit Heu, die Pferde, die nach
Hause gehenden Feldarbeiter, von welcher Seite sind
sie beleuchtet?"
"Sie haben das Licht," sagte Eckermann, "auf der
uns zugekehrten Seite und werfen die Schatten in das
Bild hinein. Besonders die nach Hause gehenden
ITIIII
Didcrots Versuch.
I8. April X827.
e) Gedichte.
Vier
Jahreszeiten.