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Goethes
Ästhetik.
Behandlung geblieben, die andere aber durch die Kunst
zur Statue, einer menschlichen oder göttlichen, aus-
gebildet worden. Wäre es eine göttliche, so möchte
sie eine Grazie oder Muse vorstellen; wäre es eine
menschliche, so dürfte es nicht ein besonderer Mensch
sein, vielmehr irgend einer, den die Kunst aus allem
Schönen versammelte.
„Euch wird aber der Stein, der durch die Kunst zur
schönen Gestalt gebracht worden, alsobalcl schön er-
scheinen; cloch nicht weil er Stein ist denn sonst
würde die andere Masse gleichfalls für schön gelten,
sondern daher, (lafs er eine Gestalt hat, welche die
Kunst ihm erteilte.
„Die Materie aber hatte eine solche Gestalt nicht,
sondern diese war in dem Ersinnenden früher, als sie
zum Stein gelangte. Sie war jedoch in dem Künstler
nicht, weil er Augen und Hände hatte, sondern weil
er mit der Kunst begabt war.
„Also war in der Kunst noch eine weit gröfsere
Schönheit: denn nicht die Gestalt, die in der Kunst
ruhet, gelangt in den Stein, sondern dorten bleibtsie,
und es gehet indessen eine andere, geringere hervor,
die nicht rein in sich selbst verharret, noch auch wie
sie der Künstler wünschte, sondern insofern der Stoff
der Kunst gehorchte.
„Wenn aber die Kunst dasjenige, was sie ist und
besitzt, auch hervorbringt, und das Schöne nach der
Vernunft hervorbringt nach welcher sie innner handelt,
so ist diese fürwahr diejenige, die mehr und wahrer
eine gröfsere und trefflichere Schönheit der Kunst
besitzt, vollkommener als alles. was nach aufsen
hervortritt.