Wirklichen
Kunst.
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Wie aber schaffen die Künstler diese zweite, an-
genehmere Welt, diese erhöhte Natur, diese Berge, zu
denen wir entfliehen, wenn es uns in unseren Städten
zu laut, zu häfslich, zu bedrückend wird? Wir dürfen
nicht hoffen, dafs wir das Genie und die Leistung des
Künstlers mit Worten völlig beschreiben und erklären
könnten; Worte sind überall nur unzulängliche Surrogatel)
und besonders an das Geheimnis des genialen Wesens
können sie nicht heranreichen. „Die Kunst ist eine
Vermittlerin des Unaussprechlichen, daruln erscheint
es eine Thorheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu
wollen." "Doch," fügt Goethe hinzu, "indem wir uns
darum bemühen, findet sich für den Verstand so
mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen auch
wieder zu gute kommtfd)
Dafs die Künstler ihren Stoff mittelbar oder un-
mittelbar aus Natur und Leben nehmen, sieht man
leicht; wie entsteht denn nun der Gegensatz zu Natur
und Leben? Dadurch, dafs die Wirklichkeit durch die
Seele des Künstlers hindurchzieht und dort verwandelt
und bereichert wird. Die Künstler haben in ihrem
Innern eine Schönheit, die sie an (lem Stoffe zur Er-
scheinung bringen, leider nur zu einer unvollkommenen
Erscheinung. Goethe fordert uns auf, diesen Prozefs
an dem Werke eines Bildhauers zu betrachtenß)
„Nehmet an: zwei steinerne Massen seien neben-
einander gestellt, deren eine roh und ohne künstliche
l) S0 urteilt Goethe in einem 1829 gedruckten Sprnche
und auch in der Xenie "Der Sinn ergreift und denkt sich was."
ä e) Goethe, Verschiedenes ICinzeLne über die Kunst. 3) Maximen
und Reflexionen.