Der
Nutzen
der
Kunst.
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Da nun die Dichter die Gestalten, die die Geschichte
ihnen bietet, idealisieren, da sie aus ihrer eigenen Um-
gebung Menschen zu Idealen erheben, so schaffen sie
uns eine erhöhte Welt, die unsere Sehnsucht nach
besseren Zuständen und besseren Menschen zeitweise be-
friedigt, namentlich aber auch solche Sehnsucht bei Vielen
erst erweckt. Sie heben uns aus dem Philistertum
heraus, das alles so haben will, wie es heute in unserem
Neste Mocle ist, das seine Reformlust in kleinlichen
Nörgeleien am neuen Bürgermeister und den vielen
Steuern erschöpft. Sie geben uns Gestalten, nach denen
wir uns bilden. Der "Knabe Lenker", der die Poesie
verkörpert, darf sich kühn mit dem Geist der Püngsten
vergleichen:
"Die größten Gaben meiner Hand,
Seht, hab" ich rings umher tgesaurlt:
Auf dem und jenem Kopfe glüht
Ein Flämmchen, das ich angesprüht;
Von einem zu dem andern hüpftß
An diesem hält sich's, dem entschlüpffs,
Gar selten aber HammPs empor.
Man denke nur an alle die Frauengestalten, die
Goethe und Schiller ihrer Phantasie entnommen haben!
Gewifs ist die Enttäuschung schmerzlich, wenn der
jiiirgling sie im Leben vergebens sucht, aber nicht aus-
zudenken ist der erziehliche Einfiufs, der von ihrem Vor-
bilde seit einem Jahrhundert ausgeht. Die Frauen, die
unsere Dichter wirklich kannten, waren solche hehren
Vorbilder nicht. Bekannt ist Goethes Bekenntnis: "Die
Frauen sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel
legen. Meine Idee von den Frauen ist nicht von den
Erscheinungen der Wirklichkeit abstrahiert, sondern sie
YV. Borle, Goethes Ästhetik. 23.