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Goethes
Ästhetik.
„Charakteristikern" geläufig war. Eine andere dilet-
tantische Eigenschaft der "Schriftstellerinnen betonte er
gegen Riemer:') "Die femmes auteurs fassen die
Männer nur unter der Form des Liebhabers auf und
stellen sie dar, daher alle Helden in weiblichen Schriften
die Gartenmanns-Figui" machen." Und die Verfasserin
einer ,Charl0tte Corday' war nicht die Einzige, von der
er dachte: "Sie hätte besser gethan, sich für den Winter
ein warmes Unterröckchen zu strickenfw)
Als in Gesellschaft einmal die Rede auf die Dichterinnen
kam,3) rückte sein Arzt, Hofrat Rehbein, das Thema
in die ihm gewohnte medizinische Beleuchtung, indem
er bemerkte, dafs das poetische Talent der Frauen-
zimmer ihm oft als _eine Art von geistigem Geschlechts-
triebe vorkomme. „Da hören Sie nur," sagte Goethe
lachend, "geistigen Geschlechtstrieb! Wie der Arzt
das zurechtlegt!" "Ich weifs nicht, ob ich mich
recht ausdrücke," fuhr dieser fort, "aber es ist so
etwas. Gewöhnlich haben diese Wesen das Glück der
Liebe nicht genossen und sie suchen nun in geistigen
Richtungen Ersatz. Wären sie zu rechter Zeit verheiratet
und hätten sie Kinder geboren, sie würden an poetische
Produktionen nicht gedacht haben."
„Ich will nicht untersuchen," erwiderte Goethe,
"inwiefern Sie in diesem Falle recht haben; aber bei
Frauenzimmertalenten anderer Art habe ich immer ge-
funden, dafs sie mit der Ehe aufhörten. Ich habe
Mädchen gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber
sobald sie Frauen und Mütter wurden, war es aus; sie
1) 13. August 1807,
Oktober 1804. 3)
Biedermann II, 184.
Eckermann, 18. Januar
2) An
1825-
Eichstädt,